Gaia-XWirtschaft first

[31.03.2022] Die digitale Souveränität steht beim europäischen Cloud-Projekt Gaia-X nicht mehr im Vordergrund. Der öffentliche Sektor spielt in dem Konsortium eine eher geringe Rolle. Immerhin ist der IT-Dienstleister Dataport mit drei Use Cases vertreten.
Gaia-X: Europäische Cloud-Infrastruktur

Gaia-X: Europäische Cloud-Infrastruktur

(Bildquelle: samy/stock.adobe.com)

Als Gaia-X im Oktober 2019 als großangelegtes Daten-Infrastrukturprojekt angetreten ist, stand das Vorhaben ganz im Zeichen der digitalen Souveränität. Man wollte eine europäische Alternative zu amerikanischen Cloud-Anbietern wie Amazon, Microsoft und Google schaffen. Der damalige Wirtschaftsminister Peter Altmaier sprach vom Goldstandard bei Cloud-Diensten und einem europäischen Datenökosystem. Denn der Datenwirtschaft gehört die Zukunft. Raumfahrt, Finanzwesen, Gesundheitsindustrie, Bauwirtschaft und der gesamte Bereich der Mobilität setzen auf das Datengeschäft. Hintergrund für Gaia-X waren auch sicherheitspolitische Aspekte – die Befürchtung, dass aufgrund des US-Cloud-Act hiesige Daten ungewollt und unbemerkt in Richtung USA abfließen könnten.
Der Idee nach sollen europäische Unternehmen zu einem auf Vernetzung beruhenden, dezentralen Cloud-Ökosystem zusammengeschlossen und hierfür eine standardisierte Infrastruktur mit Cloud-Services entwickelt werden. Gründungsmitglieder waren elf deutsche und elf französische Firmen, darunter Bosch, BMW, Deutsche Telekom, SAP und Siemens oder OVH und Orange sowie einige Firmen aus dem Mittelstand und dem öffentlichen Sektor. Inzwischen besteht das Konsortium aus mehr als 300 Unternehmen – und erste springen wieder ab. So hatte sich etwa der französische Mittelständler Scaleway im November vergangenen Jahres zu diesem Schritt entschlossen und wendet sich damit gegen ein Polarisierungsparadoxon, wie es Geschäftsführer Yann ­Lachelle nennt: Dass nämlich mit Akteuren wie Microsoft, Google und Amazon oder dem chinesischen Konzern Huawei genau jene Großanbieter mitmischen, gegen deren Vorherrschaft man sich ursprünglich gewendet hatte. Sogar die US-amerikanische Firma Palantir, spezialisiert auf nachrichtendienstliche Schnüffel-Software, ist bei Gaia-X mit von der Partie. Seitens der Gaia-X-Foundation heißt es, aus wettbewerbsrechtlichen Gründen dürfe niemand ausgeschlossen werden. Francesco Bonfiglio, Geschäftsführer der Stiftung, spricht von einer Umarmungsstrategie und erklärte noch im Dezember gegenüber der Zeitschrift Wirtschaftswoche: „Wer glaubt, dass Gaia-X Nicht-Europäer ausschließen dürfte, hat keine Ahnung von der Welt der Daten.“

Regelwerk flexibilisiert

Diese Welt der Daten ist nämlich, was deren Aufbewahrung und Verarbeitung anbelangt, längst aufgeteilt. Die so genannten Hyperscaler bieten seit Jahren funktionierende und wettbewerbsfähige Cloud-Services an. Der Markt wird angeführt von Amazon mit 30 Prozent, gefolgt von Microsoft (15 Prozent), Google und IBM (jeweils 8 Prozent). Und Treuhänder-Modelle, die eine Datenaufbewahrung auf europäischem Territorium nach den Datenschutzstandards der EU vorsehen, sind ebenfalls nicht ganz unbekannt.
Ohnehin ist das Regelwerk von Gaia-X dahingehend flexibilisiert worden, dass nun drei Compliance-Stufen existieren, über die eine Konformitätsbewertungsstelle wacht und alle Angebote und Anbieter überprüft und zertifiziert. Alles ist möglich: Datenhaltung irgendwo (Level 1), Datenhaltung in Europa (Level 2) oder noch stärkere Anforderungen gegenüber Zugriffsrechten aus Drittstaaten. Dieser Level 3 schließt theoretisch eine Beteiligung nicht-europäischer Anbieter aus. Doch ist noch ungeklärt, ob Partnermodelle, wie sie jüngst beim Zusammenschluss der Unternehmen SAP und Arvato Systems mit der Microsoft-Azure-Technologie verkündet wurden, nicht doch der Compliance von Gaia-X entsprechen können.
Für den Bitkom ist diese Offenheit so erforderlich wie wünschenswert: Hierdurch erst würden verschiedenste Anwendungsszenarien für die Cloud möglich. Ohnehin lässt für den Digitalverband die Einsicht in die strategische Bedeutung und wirtschaftliche Tragweite von Cloud-Technologien hierzulande noch zu wünschen übrig. „Es ist gut, dass die Politik die zentrale Rolle von Cloud-Technologien für die digitale Transformation erkannt hat und Cloud-Anbieter und Cloud-Angebote in Europa stärken will“, sagt Lukas Klingholz, Leiter Cloud und Künstliche Intelligenz beim Bitkom. „Anwender und Nutzer von Clouds aus Wirtschaft und öffentlichem Sektor benötigen die volle Bandbreite an vertrauenswürdigen, sicheren und leistungsfähigen Angeboten. Es ist genau in unserem Sinne, wenn Anwender je nach Szenario frei wählen können, weil das sowohl Souveränität als auch Freiheit schafft.“

Geringe Rolle des öffentlichen Sektors

Der öffentliche Sektor – vertreten etwa durch die Städte Hamburg, Leipzig und Düsseldorf und IT-Dienstleister wie AKDB, DVZ und Dataport – spielt in dem Konsortium eine eher geringe Rolle. Gleichwohl hält man die öffentliche Mitarbeit an der operativen Ausrichtung von Gaia-X für entscheidend und setzt darauf, eine relevante Stimme für die Einhaltung der digitalen Souveränität zu sein. „Der öffentliche Sektor macht durch seine Beteiligung an Gaia-X die besonderen Herausforderungen durch rechtliche Rahmenbedingungen, den Anspruch an IT-Sicherheit und Datenschutz bei der Verwendung von Daten deutlich“, sagt Johann Bizer, Vorstand von Dataport. „Das ist von zentraler Bedeutung, weil nur auf die Art auch Akteure aus Industrie und Wissenschaft die Daten aus dem öffentlichen Sektor werden verwenden können.“
Dataport ist mit drei Use Cases bei Gaia-X vertreten. Zum einen nimmt der Dienstleister am vom Bundeswirtschaftsministerium geförderten Projekt Possible teil, bei dem eine komplette Büro- und Kommunikationsumgebung für die Cloud geschaffen wird. Bei Dataport AI entstehen KI-Anwendungen, um die Datennutzung der öffentlichen Verwaltung voranzutreiben. „Wir trainieren mit Verwaltungsdaten bestimmte KI-Anwendungen, etwa Sprach- und Text­erkennung. Diese Trainingsmodelle könnten wir über Gaia-X anbieten. Personengebundene Daten würden dabei gar nicht herausgegeben. Aber das Modell, das wir trainiert haben, könnte auch von anderen genutzt werden“, sagt Tina Siegfried, die bei Gaia-X den öffentlichen Sektor vertritt. Und auch beim Projekt Merlot steht künstliche Intelligenz im Vordergrund, allerdings bezogen auf den Bildungsbereich und die Schul-Cloud.
Die meisten Use Cases, die derzeit entstehen, finden indes im Bereich Industrie 4.0, Energie, Finanzwesen, in der Baubranche und dem Gesundheitswesen statt. Die beteiligten Akteure haben ein entsprechendes Eigeninteresse an den zu schaffenden Diensten und Strukturen. Seitens der Gaia-X-Foundation ist unlängst der Startschuss für die Implementierung gefallen, als erste Federation Services beispielsweise für die Identifizierung in Datenräumen verabschiedet wurden.

Souveränität als Verkaufsargument?

Doch wie sieht es unter den Teilnehmern und Anwendern mit ihrer Bereitschaft aus, für souveräne Services gegebenenfalls auch mehr zu bezahlen? Eine Studie des Bundeswirtschaftsministeriums stellt die hohe Bedeutung einer Verbesserung der digitalen Souveränität für die deutsche Wirtschaft fest. Beim Bitkom ist eine Studie zur souveränen Cloud in Planung. Der Verband geht allerdings davon aus, dass Souveränität insbesondere für regulierte Industrien eine große Rolle spielt – damit ist unter anderem der öffentliche Sektor gemeint.

Helmut Merschmann




Weitere Meldungen und Beiträge aus dem Bereich: Politik
Cover des Forderungspapiers der Initiative D21.

Initiative D21: Deutschlands Zukunftsfähigkeit sichern

[21.02.2025] Die Initiative D21 fordert eine entschlossene Digitalpolitik von der kommenden Bundesregierung. Ein „Digital Only“-Leitbild für die Verwaltung, eine Kompetenzoffensive und sowie systematische Cybersicherheitsbildung sollen digitale Teilhabe ermöglichen und eine digitale Spaltung verhindern. mehr...

Volker-Gruhn_adesso

Statement: Digitalisierung an den Kabinettstisch

[21.02.2025] Digitalisierung gehöre nicht auf Wahlplakate, sondern an den Kabinettstisch, schreibt Professor Volker Gruhn, Gründer und Aufsichtsratsvorsitzender des IT-Dienstleisters adesso, in einem Kommentar zur bevorstehenden Bundestagswahl. Von der kommenden Regierung wünscht er sich ein Digitalministerium. Und zwar ein echtes. mehr...

Deckblatt NKR-Startegiepapier

NKR: Empfehlungen für die nächste Bundesregierung

[20.02.2025] Für die kommende Legislaturperiode hat der Nationale Normenkontrollrat (NKR) konkrete Handlungsempfehlungen für die nächste Bundesregierung formuliert. Diese fordern dazu auf, Deutschland einfacher, effizienter und moderner zu gestalten. mehr...

Niedersachsen: Digitalisierungsfahrplan steht

[19.02.2025] Unternehmen, Verwaltung und Gesellschaft in Niedersachsen auf dem Weg in die Digitalisierung begleiten – das ist der Anspruch des neuen Digitalisierungsfahrplans, dem das niedersächsische Landeskabinett jetzt zugestimmt hat. mehr...

Das Bild zeigt Bayerns Digitalminister Fabian Mehring.

Bayern: Analoge Doppelwege abschalten

[18.02.2025] Ein fixes Datum, um analoge Doppelstrukturen in der Verwaltung abzuschalten, höhere Gebühren für Bürgerinnen und Bürger, die Verwaltungsleistungen nicht digital in Anspruch nehmen – Bayerns Digitalminister Mehring will die Verwaltungsdigitalisierung mit rigorosen Maßnahmen beschleunigen. mehr...

Normenkontrollrat: Maßnahmen für weniger Bürokratie

[13.02.2025] Der Nationale Normenkontrollrat hat sein Maßnahmenpaket mit 60 konkreten Vorschlägen für Bürokratieabbau überarbeitet. Die Ergänzungen basieren auf den Rückmeldungen von Bürgern, Unternehmen, Verbänden und aus der öffentlichen Verwaltung. mehr...

Nordrhein-Westfalen: Entschlossen gegen Desinformation

[12.02.2025] Nordrhein-Westfalen verstärkt den Kampf gegen Desinformation und Radikalisierung im Netz. Ein neuer Aktionsplan soll Maßnahmen langfristig abstimmen. Zudem wird die Medienkompetenz gefördert, das KI-Tool KIVI erweitert und eine strengere Durchsetzung des Digital Services Act angestrebt. mehr...

Brandenburg: Digitalministerium steht

[11.02.2025] Brandenburgs Ministerium der Justiz ist um den Bereich Digitalisierung erweitert worden. Damit bündelt das Land erstmals die Zuständigkeiten für Digitalisierungsfragen in einem Ministerium. mehr...

Bayern: Mehring fordert KI-Regulierungspause

[10.02.2025] Bayerns Digitalminister Fabian Mehring fordert ein Moratorium für neue EU-Vorgaben zu Künstlicher Intelligenz. Erst müssten bestehende Regeln vereinheitlicht werden. Der AI Act sei eine regulatorische Hürde, die Europas weltweite KI-Wettbewerbsfähigkeit gefährde. mehr...

Illustration zum Strategiekonvent des IT-PLanungsrats.

IT-Planungsrat: Einladung zum Strategiekonvent

[07.02.2025] Der IT-Planungsrat will im März den zweiten Teil seiner Föderalen Digitalstrategie beschließen. In einem virtuellen Strategiekonvent können Interessierte vorab ihre Anmerkungen einfließen lassen. mehr...

Porträt Dr. Daniela Dylakiewicz

Sachsen: Neue CIO für den Freistaat

[06.02.2025] Daniela Dylakiewicz ist neue CIO des Freistaats Sachsen. Um die digitale Verwaltungstransformation voranzutreiben, strebt sie eine enge Zusammenarbeit mit den Kommunen des Landes an. mehr...

Bitkom: Digitalpolitik-Check zur Wahl

[06.02.2025] Der Bitkomat ging online. Das vom Bitkom erstellte Tool ermittelt in einem Frage-und-Antwort-Quiz, inwieweit die eigene Position zu wichtigen Themen der Digitalpolitik mit den zur Bundestagswahl antretenden Parteien übereinstimmt. mehr...

Ein Mann und zwei Frauen sitzen vor der blauen Wand der Bundespressekonferenz an einem langen Tisch mit Mikrofonen.

NKR-Gutachten: Verwaltungsaufgaben besser bündeln

[05.02.2025] Der Nationale Normenkontrollrat (NKR) legt ein Gutachten zur Verwaltungsmodernisierung vor, das zeigt, wie gebündelte Aufgabenstrukturen Staat und Kommunen entlasten könnten. Anhand konkreter Beispiele werden Vorschläge für effizientere Prozesse gemacht. mehr...

Cover des Forderungspapiers von Bits & Bäume zur Bundestagswahl 2025

Bündnis Bits & Bäume: Für eine nachhaltige Digitalisierung

[04.02.2025] Eine Digitalpolitik, die soziale Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit stärker berücksichtigt, fordert das Bündnis Bits & Bäume. Ein neues Papier kritisiert ungenutzte Potenziale und mangelnde Kontrolle über digitale Infrastrukturen. Die Bundesregierung müsse hier entschieden handeln. mehr...

OSBA: Digitale Souveränität wichtiger denn je

[24.01.2025] Die Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft und Verwaltung von US-amerikanischen Tech-Giganten ist groß – und wird durch Donald Trumps Amtsantritt weiter verschärft. Die OSBA fordert die Bundestagsparteien nachdrücklich auf, das Thema der digitalen Souveränität auf ihre Adenda zu nehmen. mehr...