Online-AusweisenWir sind in einer Pole-Position

[04.05.2021] Der Verein buergerservice.org will den digitalen Personalausweis als zentrale Identitätstechnologie etablieren. Seit November 2010 liegt der damals nPA (neuer Personalausweis) genannte Ausweis mit eID-Funktion vor – und hat sich nie durchsetzen können. Im Interview spricht Rudolf Philipeit, Vorstandsvorsitzender von buergerservice.org, über die Gründe.
Rudolf Philipeit

Rudolf Philipeit

(Bildquelle: Rudolf Philipeit / buergerservice.org)

Herr Philipeit, seit Langem haben wir in Deutschland einen digitalen Personalausweis. Warum wissen nur die wenigsten Menschen um seine Funktionen?

Vielen Menschen fehlt die persönliche Erfahrung. Denn den meisten der fast 70 Millionen Ausweisbesitzer wurde lange Zeit im Bürgeramt oder von einer anderen aushändigenden Stelle aktiv davon abgeraten, die eID-Funktion freischalten zu lassen, oder zumindest wurden sie nicht auf deren Zweck hingewiesen. Daher haben sie eine Unkenntnis aus der Ausweisbehörde mitgenommen und sich nie mit dem Thema auseinandergesetzt. Das gilt selbst für IT-Verantwortliche, CIOs und Verantwortliche in Bundes- und Landesministerien. Wenn wir von buergerservice.org mit diesen Personen reden, stellen wir oft fest, dass sie den Online-Ausweis selbst nicht kennen. Das hat uns darin bestärkt, Wissen über die Online-Ausweisfunktion zu vermitteln.

Wir haben die perfekte Infrastruktur für den Online-Ausweis und viele zusätzliche sichere digitale Lösungen. Zu viele?

Wir sind in Deutschland international in einer Pole-Position, was sichere digitale Identitäten anbelangt. Und es verhält sich fast wie im Dornröschenschlaf: Es muss erst ein Prinz kommen und uns wachküssen. Estland gilt mit seiner Estland-Card auch bei der digitalen Identität als Musterland. Das liegt vor allem daran, dass es dort nur eine Karte gibt und keine Alternativen. Man hat vor über 15 Jahren die Estland-Card eingeführt, und es gab keine Diskussion bezüglich eines Kartenlesegeräts. Bei uns war das der Show-Stopper. Wir müssen uns dringend auf den Online-Ausweis als zentrale digitale Identität einigen. Jedes Identitätsverfahren braucht eine Identitätsfeststellung im Vorfeld, und die erfolgt fast ausnahmslos mit dem Personalausweis. Egal ob Mobilfunkanschluss beim Telekommunikationsanbieter, ein Konto bei einer Bank oder ein OZG-Nutzerkonto mit Vertrauensniveau hoch: man kommt um eine Identitätsfeststellung nicht herum. Heute wird das oft über Video-Ident, Post-Ident oder Selfie-Ident gelöst – Systeme, die den analogen Personalausweis in Form einer Sichtprüfung abfragen. Wieso denkt niemand daran, dass wir im Personalausweis eine Online-Ausweisfunktion verfügbar haben? In 20 Sekunden ist die Identität per Kartenleser oder AusweisApp2 auf dem Smartphone rechtswirksam geklärt. Wer übernimmt denn die Haftung dafür, dass etwa ein Account bei Yes echt ist und nicht von den Enkeln des Besitzers genutzt wird?

Wofür braucht man eine sichere digitale Identität?

Es geht darum, Rechtssicherheit im Internet zu klären. In unserem Rechtswesen haben wir nur die analoge Identität zur Verfügung. Sie ist das Fundament. Hinter digitalen Vorgängen steckt immer eine analoge Person, die einen analogen Personalausweis hat. Der Online-Ausweis schafft eine Verbindung zwischen der analogen Person und der digitalen Welt. Und wenn ich mich jetzt frage, wozu wir Yes, die OZG-Nutzerkonten oder Verimi brauchen, dann ist die Antwort einfach: Diese Dienste haben eine Veredelungsfunktion, indem sie die Usability verbessern. In bestimmten Situationen ist es nicht sinnvoll, den Online-Ausweis auszupacken und einen Vorgang mit einer PIN auszulösen. Da ist vielleicht der Fingerabdruck am Smartphone geeigneter. Oder es ist vorteilhaft, wenn weitere Daten, etwa Kontodaten oder Kommunikationsdaten über einen Identitätsprovider mitgeliefert werden.

„Wieso denkt niemand daran, dass wir im Personalausweis eine Online-Ausweisfunktion verfügbar haben?“
Was unternimmt Ihr Verein, um den Online-Ausweis unters Volk zu bringen?

Wir engagieren uns vor Ort in den Kommunen, wo wir in Bürgerämtern authentische Anwendungsfälle aufzeigen. Vor der Corona-Pandemie kamen Bürger in den Wartebereich eines Bürgeramts und verbrachten dort eine gewisse Zeit. Wir haben ihnen dann am Bürgerterminal vorgeführt, wie man die eID-Funktion auf dem Ausweis aktiviert oder eine neue PIN setzen und welche Online-Bürgerservices man direkt im Selfservice nutzen kann. In Düsseldorf sind wir 2018 damit gestartet und haben innerhalb der ersten 100 Tage immerhin 682 Ausweise freigeschaltet.

Wäre nicht jetzt und mit Blick gen 2022, wenn laut OZG viele Online-Verwaltungsdienste an den Start gehen, ein guter Zeitpunkt, um die Werbetrommel für den Online-Ausweis zu rühren?

Wir brauchen jedenfalls mehr Aufklärungsarbeit, das ist vielen bewusst. Das Problem ist, dass ein vertrieblicher Mechanismus für den digitalen Ausweis fehlt. Man kann sich den Online-Ausweis als ein Produkt vorstellen, für das es keinen Vertrieb gibt. Denn eine Behörde oder ein Innenministerium hat nun mal keinen Vertrieb. Aus diesem Grund ist die Vermarktung des Ausweises nie authentisch betrieben worden. Das muss erst einmal institutionalisiert und ins Bewusstsein gerufen werden.

Wer müsste diese Aufgabe übernehmen?

Der Herausgeber des Personalausweises, in dem Fall das Referat für Ausweiswesen im Bundesinnenministerium (BMI). Dort müssten allerdings erst entsprechende Ressourcen geschaffen werden. Zum Vergleich: Verimi hat mit einer Startinvestition von 30 Millionen Euro begonnen, was inzwischen durch mehrere Finanzierungsrunden ergänzt worden ist. Zudem waren dort sofort 30 Personen an Bord, mittlerweile sind es weit über 50. Beim zuständigen Referat im BMI ist nur ein Bruchteil dieser Ressourcen verfügbar, und die sind übrigens nicht nur für digitale Identitäten zuständig, sondern für das gesamte Personal- und Ausweiswesen. Es liegt jetzt an der Politik, diese Ressourcen herzustellen.

Können die Kommunen helfen?

Die Zuständigkeit liegt beim BMI und Kommunen sind zunächst ausführende Behörden, das heißt, sie müssen den Ausweis herausgeben. Weil dies eine Pflichtaufgabe ist, hatte es in früheren Jahren dazu geführt, dass der Online-Ausweis mehr oder weniger schlecht geredet wurde. Kommunen fehlte jegliche vertriebliche Motivation. Möglicherweise bringt das OZG eine neue Motivation mit sich, um den Online-Ausweis an die Bürger heranzutragen. Es geht ja nun nicht mehr allein ums Online-Ausweisen, sondern um die Dienste, die es dem Bürger von Zuhause aus ermöglichen, E-Government-Prozesse durchzuführen. buergerservice.org hat jüngst die Aktion OZG2go ins Leben gerufen. Wir empfehlen den Kommunen, mit der Herausgabe des Personalausweises die Bürger auch auf die Möglichkeit der Registrierung von OZG-Nutzerkonten hinzuweisen, mit denen eine sichere, vertrauensvolle Kommunikation mit Behörden möglich wird.

Der Verein buergerservice.org:
Der Verein buergerservice.org hat sich 2014 mit sieben Mitgliedern gegründet, heute sind 20 Mitglieder aktiv, darunter Kommunen wie Bonn, Karlsruhe, der Ennepe-Ruhr-Kreis sowie Unternehmen wie die Deutsche Telekom, Governikus, Verimi, die Ingenieurkammer Sachsen-Anhalt oder die Deutsche Rentenversicherung. Der Verein unterstützt Kommunen dabei, die sichere Digitalisierung für Bürger und die Wirtschaft anfassbar und erlebbar zu machen.

Interview: Helmut Merschmann




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