N3GZWarum in die Ferne schweifen?

[27.04.2021] Das Gutachten „Digitalisierung in Deutschland – Lehren aus der Corona-Krise“ von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier sorgt für Unverständnis in der deutschen E-Government-Szene. Das Jugendnetzwerk N3GZ hat dem Minister nun geantwortet.

„Verschiedene Formen von Organisationsversagen“, „archaische Verwaltungsstrukturen“, „Rückstand beim Breitband-Ausbau“, „Kompetenzstreitigkeiten zwischen Bund und Land“ und „juristische und bürokratische Hemmnisse“. Die Liste der Vorhaltungen ist lang. Im Gutachten „Digitalisierung in Deutschland – Lehren aus der Corona-Krise“ (wir berichteten) lässt der Wissenschaftliche Beirat des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie kaum ein gutes Haar am Zustand der Digitalisierung. Die Berater von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier verdammen das hiesige E-Government in Bausch und Bogen. Angesichts der während der Corona-Krise auffälligen Missstände vor allem im Gesundheits- und Schulwesen verlangen sie eine Art Generalinventur der Verwaltung. Verfahrensabläufe sollen entschlackt, Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern verbindlich geklärt und digitale Produktivitätspotenziale unternehmerisch ausgeschöpft werden. Sie empfehlen neuartige Management-Ansätze wie Team-Arbeit und agiles Management, den vermehrten Einsatz von Reallaboren, einen ausgewogen gestalteten Datenschutz, der nicht nur auf Einwilligungslösungen setzt, sondern auch mit Datentreuhänderschaften operiert. Fördermaßnahmen wie Gigabit-Gutscheine und Weiterbildungsaktionen werden angeregt.

Missverständnis oder Ignoranz?

Man reibt sich die Augen. Vor zwei oder drei Jahren hätte das Gutachten durchaus als originell gelten können. Aber heute? Gibt es nicht den Normenkontrollrat, der alljährlich in seinem Jahresbericht auf die digitalen Versäumnisse aufmerksam macht? Gibt es nicht den E-Government-Monitor, der den Zustand der Digitalisierung in Deutschland im Jahresrhythmus seismografisch erfasst? Gibt es nicht den europäischen Benchmark-Report und zig Vorgängerstudien, die zu ähnlichen Ergebnissen kommen? Und gibt es nicht das Bundesministerium des Innern, den IT-Planungsrat, das Onlinezugangsgesetz und die Digitalisierungslabore, die seit Jahren nutzerorientiert und agil an der Modernisierung der Verwaltung arbeiten? Ganz zu schweigen von den vielen E-Government-Fachleuten, die in Kommunen ihr Möglichstes tun.
Ist es also schlichte Ignoranz oder liegt ein Missverständnis vor, dessen Krönung der Vorschlag Peter Altmaiers ist, Experten aus Estland einfliegen lassen zu wollen, die die deutsche Digitalisierung beflügeln helfen?

Nachwuchs meldet sich zu Wort

Zu Recht hat das N3GZ-Nachwuchsnetzwerk Digitale Verwaltung sich zu Wort gemeldet und einen offenen Brief an den Bundeswirtschaftsminister verfasst mit der naheliegenden Frage: „Warum nach Estland schweifen, wenn in Deutschland junge Digitalexpertinnen und -experten seit Jahren mit den Hufen scharren?“ In dem Netzwerk haben sich mehrere Hundert Fachkräfte aus Verwaltung, Wissenschaft und Wirtschaft organisiert, die tatkräftig an der Digitalisierung mitwirken. Sie schreiben: „Bei aller Wertschätzung für die estnischen Kolleginnen und -kollegen: Der digitale Nachholbedarf der deutschen Verwaltung erklärt sich nicht aus einem Mangel an qualifizierten Fachkräften. Schon allein die kundigen und motivierten Menschen in unserem Netzwerk erbringen hier den Gegenbeweis.“
Ihrerseits fordern sie den Wirtschaftsminister auf, die Fachkräfte, die sich seit Jahren in den Kommunen, Ländern und im Bund für Verwaltungsdigitalisierung engagieren, ernsthaft einzubinden und Gestaltungsraum zu geben. Des Weiteren fordern die Netzwerkler neue Arbeitsformen in der Verwaltung, Transparenz über den Umsetzungsstand digitaler Verwaltungsverfahren, transparente Koordinationsstrukturen zwischen Bund, Ländern und Kommunen, offene technische Standards und eine strategische Steuerung der Verwaltungsdigitalisierung „mit Weitblick“. „Lösen Sie die Bremsen“, fordern sie den Wirtschaftsminister auf.

Ob Altmaier allerdings der richtige Ansprechpartner ist, erscheint fraglich. Für die meisten Anliegen ist das Bundesinnenministerium zuständig, um dessen Existenz in der öffentlichen Wahrnehmung man sich nun sorgen muss.

Helmut Merschmann


Stichwörter: Politik, N3GZ, Peter Altmaier


Weitere Meldungen und Beiträge aus dem Bereich: Politik
Porträtfoto Dörte Schall

Rheinland-Pfalz: Neue Digitalministerin ernannt

[03.07.2024] Neue Ministerin für Arbeit, Soziales, Transformation und Digitalisierung in Rheinland-Pfalz wird Dörte Schall. Der bisherige CIO/CDO der Landesregierung, Fedor Ruhose, soll Chef der Staatskanzlei werden. mehr...

Thüringer Landes-CIO Hartmut Schubert im dunklen Anzug am Rednerpult, im Hintergrund eine blaue Wand.

Thüringen: Zehn Millionen Euro für kommunale Digitalisierung

[02.07.2024] Das Land Thüringen will die kommunale Digitalisierung mit zehn Millionen Euro fördern. Das geht aus der neuen Thüringer E-Government-Richtlinie hervor, die jetzt offiziell veröffentlicht wurde. Gefördert werden unter anderem digitale Fachverfahren und Schnittstellen, IT-Sicherheits-Maßnahmen und die interne Prozessoptimierung. mehr...

Cover des Jahresberichts 2023 des Sächsischen NKR.

Bürokratieabbau: Jahresbericht des Sächsischen Normenkontrollrats

[01.07.2024] Mit der Erfüllungsaufwandsdarstellung neuer Regelungen soll der Sächsische Normenkontrollrat zu mehr Transparenz beitragen und Erkenntnisse zum Bürokratieabbau in Sachsen wie auch im bundesweiten Vergleich liefern. Nun liegt der Jahresbericht für 2023 vor. mehr...

Ministerien und Ämter des Freistaats Bayern können künftig Anwendungen aus der  Kubernetes-Cloud nutzen.
bericht

Cloud-Strategie: Bundeskanzleramt verwirft Deutsche Verwaltungscloud

[27.06.2024] Mit einem ungewöhnlichen Schritt brüskiert das Kanzleramt alle Initiativen rund um die Deutsche Verwaltungscloud und drängt die Bundesländer zu einem Vertragsabschluss mit Delos, einer in Deutschland betriebenen Variante der Microsoft Azure Cloud. mehr...

Gruppenfoto: Teilnehmende der IT-Planungsrats-Klausurtagung auf der Außentreppe eines Gebäudes.

IT-Planungsrat: Weichenstellung für modernen Föderalismus

[20.06.2024] Als zentrales Steuerungsgremium für die Digitalisierung der Verwaltung gestaltet der IT-Planungsrat den organisatorischen, rechtlichen und finanziellen Rahmen der Verwaltungsdigitalisierung. In seiner letzten Sitzung traf das Gremium weitreichende Beschlüsse, die bei der Umsetzung zu mehr Tempo und Effizienz führen sollen. mehr...

In blaues Licht getauchte Bühne mit rund 20 leger gekleideten Personen, die Urkunden präsentieren.

Schleswig-Holstein: Innovative Open-Source-Lösungen für die Verwaltung

[20.06.2024] Die Landesregierung Schleswig-Holstein will digitale quelloffene Lösungen für Arbeits- und Verwaltungsprozesse fördern. Nun wurden auf dem Waterkant Festival Kiel fünf Open-Source-Projektideen ausgezeichnet, die noch in diesem Jahr in die Umsetzung starten sollen. mehr...

Weiße Puzzleteile auf weißem Hintergrund.

Registermodernisierung: Was bedeutet der Verzicht auf etablierte Standards?

[19.06.2024] Der Bund hat entschieden, bei der Registermodernisierungskomponente NOOTS nicht auf den etablierten Protokollstandard OSCI zu setzen – stattdessen soll etwas völlig neues entwickelt werden. Der Databund sieht darin eine Fehlentscheidung, die hohe Millionenbeträge verschlingt und die Verwaltungsmodernisierung um Jahre zurückwirft. mehr...

Symbolbild: ein unsortierter Haufen weißer Paragrafenzeichen, dazwischen ein hellblaues.

Rheinland-Pfalz: IT-Staatsvertrag wird ratifiziert

[18.06.2024] Um die Verwaltungsdigitalisierung besser unterstützen zu können, soll der Zweite IT-Änderungsstaatsvertrag die IT-Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern weiter stärken. Insbesondere die Rolle der FITKO als zentrale Umsetzungseinheit soll weiterentwickelt und gestärkt werden. Nun hat Rheinland-Pfalz den Weg zur Ratifizierung frei gemacht. mehr...

Das Bild zeigt Thomas Popp, CIO des Freistaats Sachsen.

Sachsen: NIS2-Richtlinie umgesetzt

[17.06.2024] Der Sächsische Landtag hat ein neues Gesetz verabschiedet, das die Anforderungen der europäischen Cyber-Sicherheitsrichtlinie NIS2 umsetzt. Behörden müssen nun erweiterte Maßnahmen zur Informationssicherheit einhalten und einen umfassenden Schutz gewährleisten. mehr...

Das Bild zeigt Kristina Sinemus, Ministerin für Digitalisierung und Innovation in Hessen.

OZG 2.0: Hessen begrüßt Einigung

[17.06.2024] Die hessische Digitalministerin Kristina Sinemus begrüßt die Zustimmung des Bundesrats zur Novelle des Onlinezugangsgesetzes. Insbesondere die Weiterentwicklung des Bürgerkontos zur DeutschlandID stößt in Hessen auf Zustimmung. mehr...

Nationaler Normenkontrollrat: Verwaltungsdigitalisierung nicht ausbremsen

[17.06.2024] Der Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat hat einen Einigungsvorschlag zum OZG-Änderungsgesetz, dem so genannten OZG 2.0, vorgelegt, das noch im Juli in Kraft treten könnte. Der NKR drängt auf zügige Umsetzung, auch wenn das Gesetz nicht alle strukturellen Baustellen löse. mehr...

Schleswig-Holstein: OZG 2.0 hat an Qualität gewonnen

[13.06.2024] Die Verwaltungsdigitalisierung kann jetzt deutschlandweit weiter Fahrt aufnehmen – so das Fazit des Schleswig-Holsteinischen Digitalisierungsministers Dirk Schrödter zur OZG-Einigung im Vermittlungsausschuss. Der Gesetzentwurf war von Schleswig-Holstein in seiner ersten Fassung abgelehnt worden. mehr...

Blick in einen Sitzungssaal

OZG 2.0: Einigung im Vermittlungsausschuss

[13.06.2024] Nachdem das vom Bundestag verabschiedete OZG-Änderungsgesetz im Bundesrat gescheitert war, hatte Bundesinnenministerin Nancy Faeser den Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat angerufen. Gestern hat dieser einen Einigungsvorschlag vorgelegt, dem aber vor Inkrafttreten der Bundestag zustimmen muss. Dies könnte noch in dieser Woche passieren. mehr...

Bayrischer Landtag bei einer Sitzung.

Bayern: Gut ausgestattet

[13.06.2024] Für das Bayerische Staatsministerium für Digitales sieht der nun vom Landtag beschlossene Doppelhaushalt 2024/2025 ein höheres Budget denn je vor. Digitalminister Fabian Mehring sieht darin eine Bestätigung durch Staatsregierung und Parlament. mehr...

Thüringer Landes-CIO Hartmut Schubert im dunklen Anzug am Rednerpult, im Hintergrund eine blaue Wand.

Thüringen: Rückblick und Ausblick

[12.06.2024] Thüringens Landes-CIO Hartmut Schubert informiert über den Stand von E-Government und IT-Sicherheit im Freistaat. Er sieht gute Grundlagen für eine komplett digitalisierte Verwaltung und zeichnet mit der neuen E-Government-Strategie eine optimistische Vision für die Digitalisierung der Thüringer Verwaltung. mehr...