Uni-DigitalisierungVon der Improvisation zur Strategie
Die großen deutschen Universitäten mit mehr als 25.000 Studierenden gehen die Digitalisierung unterschiedlich an. 17 von 31 haben IT-Leiter eingesetzt, deren Befugnisse sich stark voneinander unterscheiden. Andere bilden Ausschüsse aus Mitgliedern der Leitungen. Vor allem fehlt den Leitungen bisher ein Plan, der leistungsbereichs- oder hochschulübergreifender angesetzt ist, um den digitalen Wandel aus dem Krisenmodus in eine zielgerichtete Umsetzung zu überführen. Dies sind einige der Kernergebnisse einer Studie unter dem Titel: „Die Digitalisierung an den Universitäten steuern. Die Sicht der Rektorate/Präsidien der 31 größten deutschen Universitäten zur Governance der Digitalisierung.“ Erstellt hat sie die Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC).
Die Untersuchung vergleicht laut PwC Governance-Modelle, anhand derer die Hochschulen ihre Digitalisierung organisieren. Das vorliegende Zwischenergebnis basiere auf einem repräsentativen Vergleich der Organigramme zur Zuständigkeit für IT- und Digitalisierungsstrategien sowie auf rund 20 vertiefenden Interviews mit Mitgliedern der Hochschulleitungen. Eine Folgestudie soll Best-Practice-Lösungen für einen möglichst effektiven und effizienten digitalen Wandel finden.
Rasche Fortschritte
Peter Detemple, Partner und Leiter Public Management Consulting bei PwC Deutschland, sagt: „Die Corona-Krise hat eine erhebliche Dynamik in die Digitalisierung der Hochschulen gebracht – vor allem in der Lehre. Forschung und Verwaltung hingegen stehen meist noch ganz am Anfang.“ Wie bereits erwähnt, hat mehr als die Hälfte der Hochschulen (17 von 31) eine Person zur oder zum Digitalisierungsbeauftragten benannt. Allerdings variieren deren Zuständigkeiten und Befugnisse laut PwC mitunter stark. Andere Einrichtungen bilden Ausschüsse, die sich aus Mitgliedern der Leitungen oder Stabsstellen zusammensetzen.
In der Lehre würden praktisch alle Hochschulen (94,4 Prozent) Vorlesungsaufzeichnungen und soziale Medien zumindest in geringem Maße nutzen. Auch das mobile Lernen, etwa mit Videokonferenzen, sei stark verbreitet (93,5 Prozent). Diese digitalen Lehr-Lern-Formate seien insgesamt jedoch selten didaktisch optimiert worden. In der Forschung sehen die PwC-Experten keinen großen Digitalisierungsschub durch Corona. Viele der Hochschulen hätten zum Beispiel zunächst eine grundlegende IT-Infrastruktur für die sichere Arbeit im Homeoffice schaffen müssen.
Unterschiedliche Steuerungsphilosophien
Auch in den Hochschulverwaltungen beginne die Digitalisierung erst. Am weitesten vorangeschritten sei sie in Studierendenangelegenheiten: Prüfungs- und Notenbescheide erhalten Studierende an rund zwei Dritteln der untersuchten Hochschulen (66,3 Prozent) digital, die Bewerbungsverfahren für Studienplätze laufen an 55,8 Prozent der Universitäten komplett digital, die Immatrikulation an 41,9 Prozent der Hochschulen. In allen anderen untersuchten Bereichen habe maximal ein Fünftel der Hochschulen die Digitalisierung konsequent umgesetzt.
Mit Blick auf die CIO-Funktion gehen die Hochschulen bislang unterschiedlich vor: Universitäten wie die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule und die Freie Universität Berlin zum Beispiel verfügen laut der Untersuchung über eine überdurchschnittlich große Zentralverwaltung traditionellen Zuschnitts. Dagegen setze etwa die Technische Universität München das Ressortprinzip differenziert um.
Nutzerinteressen ausgewogen integrieren
Insgesamt lassen sich laut den Autoren der Studie zwei Steuerungsphilosophien für die Digitalisierung beobachten: Das eine Konzept, etwa der Hochschulen Aachen, Karlsruhe und Leipzig, versuche, die Nutzerinteressen ausgewogen in CIO-Gremien zu integrieren. Demgegenüber schaffen andere Universitäten wie die Technische Universität München personale CIO-Stellen, um Entscheidungs- und Richtlinienkompetenzen auch organisatorisch umzusetzen.
Der Vergleich der bundesweit unterschiedlichen Modelle werfe die Frage auf, inwiefern es sinnvoll ist, für die CIO-Funktion auch in den Hochschulleitungen eindeutige Leitungsverantwortliche zu benennen und darunter ein CIO-Dezernat zu schaffen, das strategische Verantwortung mit operativen Ressourcen verknüpft. Florian Kaufmann, Director bei PwC Deutschland, Leiter des PwC-Hochschulteams und Co-Autor der Studie, sagt: „In der Praxis kommt es nicht so sehr darauf an, ob es eine personale CIO-Funktion gibt oder nicht. Ausschlaggebend für gelingende Veränderungen ist eine überzeugende Führungs- und Teamarbeit.“
IT-Ressourcen weit verteilt
Für eine umfassende Digitalisierung benötigen die Hochschulen der Studie zufolge eine Strategie, die alle Einzelvorhaben zeitlich und inhaltlich zusammenführt, so Florian Kaufmann weiter. Die besondere Herausforderung liege darin, dass die großen Universitäten aus riesigen Konglomeraten mit unterschiedlichsten Teilbetrieben und Verwaltungskulturen bestehen. Verena Holl, Managerin bei PwC Deutschland und stellvertretende Leiterin des PwC-Hochschulteams, ergänzt: „Die benötigten IT-Ressourcen sind selbst hochschulintern noch weit verteilt und selten. Künftige Herausforderungen wie den Umgang mit künstlicher Intelligenz und Big Data Analytics können die Universitäten daher nur hochschulübergreifend meistern. Sie sollten daher in IT-Fragen systematischer zusammenarbeiten.“
Mit Blick auf den Digitalisierungsschub durch COVID-19 stellten die PwC-Experten fest, dass es sich bei den Reaktionen auf die Kontaktbeschränkungen nicht um neue Konzepte, sondern stärker um Improvisation handelt; etwa bei der Frage, welche (schon vor Corona vorhandenen) Tools wie eingesetzt werden. Florian Kaufmann erklärt: „Die Probleme und Chancen, die COVID-19 bei der Hochschul-Digitalisierung zutage gefördert hat, sind Steuerungsherausforderungen. Jetzt sollte es darum gehen, sie anzunehmen, strategisch anzugehen und mit klarem Zeithorizont in die Praxis umzusetzen.“
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