Digitale BarrierefreiheitVon Anfang an mitdenken

[07.12.2023] Im IT-Systemhaus der Bundesagentur für Arbeit (ITSYS) wurde eine Gesamtstrategie entwickelt, um die BA und all ihre IT-Dienstleistungen barrierefrei auszurichten. Das Thema soll bei der Software-Entwicklung stets von Anfang an mitgedacht werden.

IT-Systeme der BA sollen für alle Nutzergruppen zugänglich sein.

(Bildquelle: Михаил Решетников/stock.adobe.com)

Als größte Dienstleisterin am deutschen Arbeitsmarkt sowie große Arbeitgeberin gestaltet die Bundesagentur für Arbeit (BA) den Prozess der Inklusion aktiv mit und trägt somit zur Verwirklichung der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland bei. Das Ziel lautet, eine attraktive Arbeitgeberin für Menschen mit Behinderungen zu sein, bei der alle IT-Dienstleistungen uneingeschränkt für alle nutzbar sind.
Das IT-Systemhaus der BA (ITSYS) stellt als interner Dienstleister IT- und Kommunikationslösungen für Fachanwendungen zur Verfügung, beispielsweise für die Auszahlung des Arbeitslosengelds I, der Grundsicherung und des Kindergelds. Das ITSYS entwickelt und betreibt die Software der BA. Auf über 20.000 Servern und 180.000 vernetzten PCs laufen mehr als 100 eigene Software-Verfahren. Innerhalb des ITSYS wurde 2021 ein eigener Kompetenzbereich für die digitale Barrierefreiheit gegründet, um das Begutachtungsvorgehen auf die Anforderungen der BITV 2.0 (Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung) umzustellen. Zusätzlich wurden die Rahmenbedingungen neu definiert, damit die umsetzenden Einheiten des ITSYS eine bessere Orientierung hinsichtlich der Anforderungen an die Barrierefreiheit sowie einen kompetenten Ansprechpartner bei Fragen haben.

Richtlinie erarbeitet

Sowohl die im ITSYS selbst entwickelten Software-Verfahren als auch eingekaufte Lösungen unterliegen den rechtlichen Grundlagen für öffentliche Stellen. In Zusammenarbeit mit dem Digital-Dienstleister Telekom-MMS hat der Kompetenzbereich digitale Barrierefreiheit des ITSYS deshalb eine Richtlinie, die so genannte Barrierefreie UIE, erarbeitet und über die Website der Bundesüberwachungsstelle für Barrierefreiheit in der IT (BFIT) veröffentlicht. Ziel war es, die Kluft zwischen den gesetzlichen Anforderungen, Richtlinien, Normen und bestehenden Design Guides oder Styleguides zu schließen. Dieses BA-externe Engagement war enorm hilfreich, um eine bessere Vernetzung innerhalb der öffentlichen Stellen zu erzielen und über den Schulterschluss mit anderen öffentlichen Stellen die Durchsetzung der eigenen Anforderungen – insbesondere im Hinblick auf Software-Hersteller – zu erhöhen.

Alle relevanten Stakeholder einbinden

Damit digitale Teilhabe gelingt, ist es erforderlich, die relevanten Stakeholder einzubinden. Im Fall des ITSYS ist das zum Beispiel die Inklusionsbeauftragte des Hauses, Birgit Eiber. Sie hat mit ihrer Einheit über den so genannten Aktionsplan eine Gesamtstrategie entwickelt, um die BA und ihre Dienstleistungen barrierefrei auszurichten. Gemeinsam mit ihr versucht das ITSYS, die richtigen Impulse für die Organisation zu geben, insbesondere beim Thema Awareness. Auch die Entscheider, also zum Beispiel die Ebene CIO und CEO – in der BA in Personalunion durch Stefan Latuski vertreten –, verpflichten sich dem Thema und geben Rückendeckung, wenn es zum Beispiel um Eskalationen mit Herstellern geht. Darüber hinaus ist ein enger Austausch mit den Gremienvertretern der BA, also mit der Schwerbehindertenvertretung und Vertretern des Hauptpersonalrats, wertvoll.
Das Thema digitale Barrierefreiheit ist bedauerlicherweise bei weiten Teilen der Stakeholder und Umsetzer von IKT-Systemen noch immer negativ belegt. Das resultiert zum Teil daraus, dass in der Vergangenheit gute Umsetzungsideen nicht realisiert wurden, um die Vorgaben an die Barrierefreiheit einzuhalten. Zum anderen stieß man bei der Umsetzung schnell auf Unklarheiten, da bestehende Vorgaben viel Interpretationsspielraum ließen. Diese Unstimmigkeiten führten oft zu unterschiedlichen Auslegungen der bestehenden Vorgaben und spätestens bei der Abnahme von Artefakten oder ganzen IKT-Systemen zu Verärgerung – bis hin zu juristischen Auseinandersetzungen.

Nicht zu spät an Barrierefreiheit denken

Mit Umsetzung und öffentlicher Verfügbarkeit der Richtlinie Barrierefreie UIE ist es nun gelungen, einige Lücken in den Veröffentlichungen zur Barrierefreiheit zu schließen. So sind in der EN 301 549 im Kapitel 11 die Anforderungen an Software nur ganz allgemein beschrieben und es bleibt unklar, wie UI-Elemente – das sind Elemente der grafischen Benutzeroberfläche, wie Schalter, Kontrollkästchen, Textfelder oder Fenster – konkret umgesetzt werden müssen, um den Anforderungen zu genügen. Dies ist nun exakt definiert. Darüber hinaus liegt mit KoliBri von ITZBund eine frei verfügbare Komponenten-Bibliothek für die Barrierefreiheit vor, die mit einfachen Mitteln an die eigenen Design-Vorgaben angepasst und sofort eingesetzt werden kann. Das spart Zeit und Geld, verbessert die Planbarkeit und vermeidet Pro­bleme am Ende von Projekten, wenn normalerweise erst damit begonnen wird, sich mit dem Thema digitale Barrierefreiheit zu befassen.
Das war auch eine der großen Erkenntnisse im Kompetenzbereich des ITSYS: An die Barrierefreiheit wird sehr häufig zu spät gedacht. Daraufhin wurde die Herangehensweise umgestellt, und der Kompetenzbereich digitale Barrierefreiheit versucht heute, die Entwicklungseinheiten des ITSYS möglichst von Anfang an zu beraten und zu coachen. Dazu wurde eine neue Rolle definiert und pilotiert, die so genannte Entwicklungsbegleitung. Dabei handelt es sich um eine Person mit ausgewiesenem Expertenwissen zur Barrierefreiheit. Die Rolle ist direkt in den agilen Entwicklungsteams angesiedelt und berät bei Architekturentscheidungen, testet einzelne Artefakte oder Module während der Entwicklungsphase auf die Anforderungen an die Barrierefreiheit und berichtet dem Management zum Status der Barrierefreiheit der jeweiligen IT-Systeme. Noch wird die Rolle hauptsächlich von externen Dienstleistern ausgeübt. Aktuell wird jedoch eine Qualifizierungsmaßnahme entwickelt, um darüber ab Mitte 2024 internes Personal schulen zu können und dann künftig die Entwicklungsbegleitung mit eigenen Fachleuten zu besetzen.

Nicht zu verachtender Wettbewerbsvorteil

Als wirkungsvoll hat sich der umgestellte Begutachtungsprozess mit dem so genannten Maßnahmenplan erwiesen. Dieser wird zwischen den Entwicklungsteams der IT-Systeme und dem Kompetenzbereich der digitalen Barrierefreiheit abgestimmt, wenn die Begutachtung nach BITV 2.0 Auffälligkeiten, also leichte Verstöße gegen die Anforderungen an die Barrierefreiheit ergeben hat. Darin werden alle Auffälligkeiten festgehalten, priorisiert und mit einem festen Umsetzungsdatum versehen. Ist dieses erreicht, wird automatisch eine Bearbeitungsaufforderung generiert und die Kolleginnen und Kollegen der digitalen Barrierefreiheit können bezüglich des Umsetzungsstatus der jeweiligen Maßnahme nachfragen.
Digitale Barrierefreiheit verbunden mit Gebrauchstauglichkeit sind eindeutige Qualitätskennzeichen für gute Software und erleichtern allen Nutzergruppen, mit und ohne Einschränkungen, den Zugang zu den IT-Systemen. In Zeiten eines wachsenden Fachkräftemangels ist das ein nicht zu verachtender Wettbewerbsvorteil, wenn man bedenkt, dass mehr als zehn Prozent aller Bundesbürger eine Schwerbehinderung haben.

Markus Brand ist Leiter des Kompetenzbereichs Digitale Barrierefreiheit beim IT-Systemhaus der Bundesagentur für Arbeit.




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