GovTechUngenutzte Potenziale
Der Ruf nach einer modernen digitalen Verwaltung in Europa ist laut. Die Möglichkeiten, die Unternehmen aus dem Bereich Government Technology (GovTech) dabei bieten, werden von öffentlichen Institutionen jedoch nur zu einem Bruchteil ausgeschöpft. Das zeigt eine Analyse zur öffentlichen Beschaffung in Europa, die von Sopra Steria und GovMind durchgeführt wurde.
Die Bewältigung zahlreicher Herausforderungen wie Klimawandel, Konflikte, demografischer Wandel und stagnierendes Wirtschaftswachstum in Europa lasse derzeit politisch wie finanziell „nur wenig Spielraum für neue, ehrgeizige Maßnahmen“, so Sopra Steria. Gleichzeitig wachse der Druck auf Behörden in ganz Europa, Dienstleistungen wie auch interne Prozesse durch die Digitalisierung effizienter zu gestalten. Stärker auf innovative Lösungen von GovTechs zu setzen, könnte europäischen Regierungen den Weg aus diesem Dilemma weisen. Vorteile seien schnellere, bequemere Dienstleistungen und ein geringerer Verwaltungsaufwand, aber auch mehr Vertrauen in die öffentliche Verwaltung. Der Einsatz von GovTech-Innovationen stimuliere zudem das Unternehmertum und das Wirtschaftswachstum in den jeweiligen Ländern Europas und schaffe ein wettbewerbsfähigeres Technologie-Ökosystem.
200 Milliarden Euro ungenutztes GovTech-Potenzial jährlich
Bisher schöpft der öffentliche Sektor seine Möglichkeiten nicht aus. Wie groß die Lücke zwischen dem Innovationspotenzial und der tatsächlichen Auftragsvergabe ist, zeigt eine Rechnung von Sopra Steria auf Basis von GovMind-Daten: Öffentliche Verwaltungen in Europa beschaffen jährlich Waren und Dienstleistungen im Wert von rund 2,75 Billionen Euro – doch nur ein sehr kleiner Anteil, genauer ein viertel Prozent (6,4 Milliarden Euro), entfällt auf GovTech-Lösungen. Würden sich Behörden umorientieren und mehr Aufträge an GovTechs statt an traditionelle Unternehmen vergeben, könnten 7,5 bis 9 Prozent des gesamten Beschaffungsvolumens in die Digitalisierung fließen, also mehr als 200 Milliarden Euro. Durch das Heben dieses GovTech-Potenzials könne Europa einen GovTech-Binnenmarkt schaffen und damit der europäischen Integration ein neues Kapitel hinzufügen. „Von Kohle und Stahl über Waren und Dienstleistungen bis hin zu einer gemeinsamen Währung und schließlich einem Technologiemarkt“, sagt Ronald de Jonge, Operating Officer & Deputy Head of Public Sector bei Sopra Steria. Dafür brauche es „keine langen Verhandlungen und Ratifizierungen, sondern eine konsequente Nutzung des vorhandenen Innovationspotenzials“. Sopra Steria selbst bringe mit einem Venture-Client-Ansatz innovative Start-ups und Behörden gezielt miteinander in Verbindung.
Über 5.000 europäische GovTech-Lösungen
GovMind hat insgesamt 2.126 GovTechs in Europa identifiziert, darunter Start-ups sowie kleine und mittlere Unternehmen (KMU), die seit dem Jahr 2000 gegründet wurden und ihren Hauptsitz in einem der europäischen Länder haben. In zentralen Themenfeldern wie beispielsweise interner Verwaltung, Bürgerkommunikation oder Stadtentwicklung ist die Firmenlandschaft heute deutlich vielfältiger als noch vor fünf oder gar zehn Jahren. So hat sich die Zahl der Anbieter zwischen 2011 und 2021 fast vervierfacht – mehr als 5.000 GovTech-Lösungen stehen für den sofortigen Einsatz bereit. Öffentliche Auftraggeber könnten bei ihrer Beschaffungsentscheidung auf eine größere und vielfältigere Unternehmenslandschaft zurückgreifen, als es derzeit der Fall ist.
Allerdings, so Sopra Steria, erfordere dieses umfassende Angebot tiefgehende Marktkenntnis. Hier könnten „Ökosysteme“ Abhilfe leisten. Mit neuen Formaten und Partnern könnten sie dazu beitragen, dass öffentliche Verwaltungen und GovTechs verstärkt zusammenarbeiten können. „Das erprobte Venture-Clienting-Modell ist die effizienteste Methode, um diese Ventures mit ihren tausenden Lösungen zu scouten, zu evaluieren und mit den bestehenden Herausforderungen der Verwaltung zu matchen. Es wäre unrealistisch, von der öffentlichen Beschaffung und den Kommunen zu erwarten, ein solches europaweites Scouting eigenständig zu bewältigen“, sagt Darius Selke, Head of Sopra Steria Ventures Deutschland. Die Technologieberatung habe bereits umfangreiche Erfahrungen im Matchmaking zwischen etablierten Unternehmen und Verwaltungen sowie Start-ups, wie etwa dem deutschen KI-Aushängeschild Aleph Alpha, gesammelt.
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