Change-ManagementSchachspieler oder Gärtner

[18.05.2021] Eine hierarchische Führung verhindert Digitalisierung, weil sie die Wirkungen fürchtet: transparente Wissens- und Entscheidungsstrukturen. Wer die moderne Verwaltung wirklich will, muss das persönliche und organisationale Mindset ändern.
Persönliches Mindset als Führungskraft: Will ich ein Schachpieler sein

Persönliches Mindset als Führungskraft: Will ich ein Schachpieler sein, der seine Figuren nach seinem Plan hin und her zieht?

(Bildquelle: Elnur Amikishiyev/123rf.com)

Der Druck auf Ämter und Behörden nach schnellerem und effektiverem Verwaltungshandeln steigt nicht nur in der aktuellen Pandemie-Situation. Die Erhöhung des Digitalisierungsgrads wird auch durch das Onlinezugangsgesetz (OZG) und mehr virtuelle Kommunikation zwischen Bürgern, Wirtschaft und Verwaltung verlangt. Die Zeiten kafkaesken Eigenlebens einer Verwaltung sind damit endgültig vorbei. Die Verwaltung ist in der Gesellschaft angekommen und diese ändert sich immer schneller. Entsprechend muss sich die Verwaltung anpassen, sie muss schneller und beweglicher werden.
Diese Agilität wird durch Digitalisierung ermöglicht. Schnelligkeit ist der zentrale Nutzen und der Grund für Digitalisierung. Schnelligkeit und Beweglichkeit meint konkret, dass dort entschieden wird, wo die Kompetenz und die Wirkungsmacht am größten ist und wo am wenigsten kommunikative Komplexität erzeugt wird. Das ist im politischen Feld nicht immer ganz einfach, sollte aber angestrebt werden.

Change-Projekt für die gesamte Organisation

Digitalisierung ist immer ein Change-Projekt, das die gesamte Organisation umfasst. Deshalb muss es für die Anwender und User (Sachbearbeiter) mit einem nachvollziehbaren, plausiblen Grund und auch einem für sie persönlich attraktiven Ziel verbunden sein – etwa weniger langweilige Aufgaben oder mehr Handlungsspielräume. Dies ist für den Erfolg eines Digitalisierungsprojekts entscheidend. Weiterhin sollte ein solches Projekt einen organisatorischen und prozessualen Rahmen haben. Bevor auch nur ein Tool oder ein ERP-System implementiert wird, sollten nachfolgende Fragen geklärt werden:
– Welche Ziele verfolgen wir mit der Digitalisierung und warum wollen wir das erreichen?
– Welche Auswirkungen hat die Digitalisierung auf die Führung und die Organisation?
– Welches berufliche Selbstverständnis, welches Mindset ist für die Digitalisierung förderlich, welches eher hinderlich?
– Wie setzen wir die Digitalisierung um?
– Welches Design müsste ein Umsetzungsprojekt haben?

Steuerkreis aus den Führungskräften

Die Organisation eines Digitalisierungsprojekts hat im Fall der öffentlichen Verwaltung eine Top-Down-Struktur mit einem Steuerkreis, der aus den Führungskräften der Verwaltung zusammengesetzt sein sollte. Dieser Steuerkreis hat primär die Aufgabe die obigen Fragen zu bearbeiten, für den Change-Prozess ein geeignetes Prozessdesign zu wählen, die jeweils relevanten internen und externen User und Stakeholder einzubinden und diesen Prozess zu moderieren.
Prinzipiell zeigen sich in einer Verwaltung zwei große Digitalisierungsfelder: Einmal die Verwaltung selbst, also die Optimierung und Automatisierung von Verwaltungsprozessen, sowie zum anderen die Digitalisierung des öffentlichen Raums und die Kommunikation mit den Bürgern über Plattformen oder Apps. Eine weiteres wichtiges Feld ist die Datensicherheit und der Datenschutz. Es stellen sich weitere Fragen:
– Was ist der Verwaltung in Bezug auf die Optimierung ihrer internen und externen Prozess wichtig?
– Sollen repetetive Tätigkeiten nur automatisiert oder auch eine KI-gestützte intelligente Verarbeitung der Daten gewährleistet werden, um schneller und besser abgestützte Entscheidungen treffen zu können?
– In welchen Bereichen soll der digitale Austausch mit Bürgern verstärkt werden und wie sind die diesbezüglichen Bedürfnisse der Bürger zu beurteilen?
– In welchen anderen Zukunftsprojekten kann Digitalisierung helfen, schneller zu werden?
Diese Fragen nach dem Ziel und Zweck der Digitalisierung müssen geklärt werden bevor mit der eigentlichen Digitalisierung begonnen werden kann.

Mindset bestimmt das Handeln

Das Mindset in einer Organisation, also die Denkweisen, Überzeugungen und Verhaltensmuster, beschreibt das Selbstverständnis der Mitglieder in ihrer jeweiligen Rolle und es beschreibt die Normativität – was ist wichtig, richtig und falsch. Das Mindset bestimmt auch das soziale Handeln in Bezug auf Führung und Kommunikation in einer Organisation. Wer Digitalisierung wirklich will, muss sich verabschieden von einem Führungsverständnis, wonach der Chef das meiste entscheiden und kontrollieren muss. Eine umfassende Digitalisierung als Voraussetzung von E-Government wäre der natürliche Gegenspieler eines organisationalen Mindsets, das mehr von Status, Macht, Kontrolle und Sicherheit als von Vertrauen, Sachorientierung, Unterstützung und Veränderung geprägt ist. Hier muss sich jede Verwaltung entscheiden, was sie will: Digitalisierung oder Macht und Kontrolle. Beides geht nicht.
Digitalisierung schafft transparente Wissens- und Entscheidungsstrukturen, ermöglicht selbstverantwortliches Handeln und bricht Informationssilos, Asymmetrien und damit auch Macht auf, weil digitalisierte Informationen prinzipiell jedem, für den sie relevant sein können, zugänglich wären und dies unabhängig von machtpolitischen und persönlichen Beziehungen. Sie liegen nicht mehr beim Chef oder beim Kollegen, sondern auf einem Server, auf den jeder Beschäftigte qua Funktion Zugriff hat. Eine hierarchische, auf Macht und Position basierende Kontroll- und Führungskultur verhindert Digitalisierung, weil sie eben genau das nicht will, was Digitalisierung bewirkt: Transparenz und Abbau von Asymmetrien. Außerdem verträgt sich eine solche Kultur nicht mit agilem, selbstorganisierten und selbstverantwortlichem, auf Vertrauen basierendem aufgaben-, abteilungs- und sektorenübergreifenden Arbeiten.

Individuelle Denkweisen

Wer Digitalisierung wirklich will, sollte sich die Frage nach dem Selbstverständnis und dem persönlichen Mindset stellen. Als Führungskraft: Will ich ein Schachpieler sein, der seine Figuren nach seinem Plan hin und her zieht oder will ich ein Gärtner sein, der die Pflanzen begießt und den Garten zum Blühen bringt? Will ich dienen oder herrschen? Will ich kontrollieren oder vertrauen? Will ich moderieren oder bestimmen? Will ich eine Fehlerkultur oder ein Vermeidungsverhalten? Für den Beschäftigten: Will ich Verantwortung übernehmen oder Verantwortung eher abgeben. Will ich kooperieren oder mein eigenes Ding machen?
Je nach dem, wie diese Fragen beantwortet werden, entsteht ein entsprechendes organisationales Mindset, das auch die individuellen Denkweisen prägt. Ansetzen muss man in jedem Fall immer am individuellen Mindset, vor allem an jenem der Führungskräfte. Das ist verhaltensprägend und damit auch bestimmend für den Erfolg der Digitalisierung. Am besten startet man mit einem Werte- und Kultur-Workshop: Was ist uns wichtig, wie handeln und kommunizieren wir tatsächlich, wie können wir unser Handeln verändern, welche Bedingungen müssten wir dazu verändern und was können wir selbst dazu tun?

Marcus Ketschau

Ketschau, MarcusDer Autor ist als Coach, Organisations-, Change- und Kulturberater überwiegend in der Industrie tätig. Er verfügt aber auch über Erfahrungen in der Begleitung von Projekten zur Organisationsentwicklung in Kommunen. Ferner betreibt er einen Blog zu unternehmensethischen Themen.



Weitere Meldungen und Beiträge aus dem Bereich: Politik
Mann (Jürgen Barke) in einem sehr förmlichen dunkelblauen Anzug mit blauem Schlips und weißem Einstecktuch steht vor einer hellen Wand.

Saarland: Mehr Input zur Digitalpolitik

[05.11.2024] Das Saarland tritt dem GovTech Campus Deutschland bei, um die Digitalisierung der Verwaltung voranzutreiben. Durch die Mitgliedschaft will das Land von dem Innovationsnetzwerk profitieren und aktiv an Digitalpolitik und gemeinsamen Projekten mitwirken. mehr...

Personengruppe in förmlicher Kleidung steht auf einer Wiese vor einer historischen Sandsteinfassade.

Normenkontrollräte: Ambitioniert zum Bürokratieabbau

[05.11.2024] Im Rahmen eines Treffens in Stuttgart haben Normenkontrollräte und Clearingstellen eine Erklärung verabschiedet, die eine Reduzierung der Bürokratiekosten um 25 Prozent innerhalb von vier Jahren anstrebt. mehr...

Montage: ein aufgeklappter Laptop, er Monitor enthält Karteischubladen, eine davon ist ausgezogen und ragt aus dem Bildschirm heraus.

Databund: Datenschutzrisiken im MDWG

[05.11.2024] Der Databund hat zu zwei Gesetzesentwürfen des Bundes Stellung genommen, welche die kommunale Verwaltung betreffen. Im MDWG-Entwurf sieht er Verbesserungen für die Migrationsverwaltung, mahnt jedoch Datenschutzrisiken an. Beim eIDAS-Gesetz begrüßt der Verband die Stärkung der Bundesnetzagentur. mehr...

Symbolbild: Blauer Hintergrund, davor Binärcode-Zahlenreihen und ein Ring aus gelben Sternen (EU-Flagge)

Niedersachsen: NIS2-Richtlinie umgesetzt

[04.11.2024] Niedersachsen setzt als eines der ersten Bundesländer die NIS2-Richtlinie der EU zur Cybersicherheit in der Verwaltung um. Die neue Verwaltungsvorschrift, die Benennung einer zuständigen Behörde für Cybersicherheit und die Einrichtung eines Notfallteams sollen die IT-Sicherheit in besonders kritischen Bereichen stärken. mehr...

Niedersachsenross (steigendes weißes Pferd) aus sich überlappenden Glasplatten als Wanddekoration im Niedersächsischen Landtag.

Niedersachsen: Beteiligung am ZenDiS

[04.11.2024] Niedersachsen will sich am Zentrum für Digitale Souveränität (ZenDiS) beteiligen, um die Abhängigkeit der Landesverwaltung von marktbestimmenden Softwareherstellern zu reduzieren. Das Land könnte so auch von überregionalen Erfahrungen und Projekten profitieren. Dies steht im Einklang mit der Digitalstrategie des Landes. mehr...

Reduzierte Strichzeichnung mit schwarzen Linien auf weiß, die verschiedene Symbole für Bereiche der Digitalisierung zeigt.

BMDV/BREKO: Digital only braucht Glasfaser

[24.10.2024] Die Bundesregierung berichtet über Fortschritte ihrer Digitalstrategie. Der Glasfaserverband BREKO warnt trotz erreichter Erfolge bei 5G und Glasfaser vor Verzögerungen beim Ausbau. Ohne klare politische Weichenstellungen, insbesondere zur Abschaltung des Kupfernetzes, könnte das Ziel einer flächendeckenden Glasfaserversorgung bis 2030 verfehlt werden. mehr...

Im Vordergrund einige leicht unscharf fotografierte Kongressbesucherinnen, hinter ihnen hängt an einem bodentiefen Fenster ein Flatscreen mit pink-violetten Mustern und dem Wort "Digitalgipfel"

Digital-Gipfel 2024: Fokus auf KI und digitaler Souveränität

[23.10.2024] Im Fokus des Digital-Gipfels der Bundesregierung standen die Stärkung der digitalen Souveränität und der Einsatz von Künstlicher Intelligenz. Die Bundesregierung betonte die Bedeutung einer intensiven Datennutzung und der KI-Förderung, um Deutschland im internationalen Wettbewerb zu stärken. mehr...

Digitalisierung: Dresdner Forderungen 2.0

[22.10.2024] Die Fachgruppe Verwaltungsinformatik der Gesellschaft für Informatik hat 20 Thesen zum digitalen Wandel formuliert. Die Forderungen zielen darauf ab, die Verwaltung effizienter, zukunftssicherer und bürgerfreundlicher zu machen. mehr...

Gruppenfoto der Digitalverantwortlichen der Länder vor einer Projektion mit DMK-Logo.

Digitalministerkonferenz: Erfolgreiches zweites Treffen

[21.10.2024] Die Digitalisierung in Deutschland zügiger vorantreiben und digitale Transformation zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger gestalten: Mit dieser Zielstellung haben sich die Digitalverantwortlichen der Länder zur zweiten Digitalministerkonferenz in Berlin getroffen. Wichtige Themen waren Datenschutz und Datennutzung, die Verwaltungscloud-Strategie und die Nutzung von KI. mehr...

Grafik zum digitalen Rechtsetzungskreislauf

Nationaler Normenkontrollrat: Gesetzgebung digitalisieren

[18.10.2024] Die E-Gesetzgebung ist der zentrale Baustein, um Gesetzgebungsverfahren künftig vollständig digital und medienbruchfrei zu gestalten. Das Bundeskabinett hat hierfür nun wichtige Leitlinien beschlossen. Der Nationale Normenkontrollrat (NKR) begrüßt dies – sieht es aber lediglich als ersten Schritt. mehr...

Wappen des Landes Niedersachsen

Niedersachsen: Warum die Verwaltungsdigitalisierung stockt

[18.10.2024] Uneinheitliche Steuerungs- und Entscheidungsstrukturen sorgen dafür, dass die Verwaltungsdigitalisierung in Niedersachsen immer noch stockt. Zu diesem Schluss kommt der niedersächsische Landesrechnungshof in einem aktuellen Positionspapier. Insbesondere die dezentrale Verteilung der IT-Budgets wird bemängelt. mehr...

Porträt von Bundesministerin Stark-Watzinger in schwarzer Kleidung vor grauer Wand.

DigitalPakt Schule: Fortsetzung ja – nur wann?

[16.10.2024] Der DigitalPakt Schule, dessen Antragsfrist im Mai 2024 endete, will den Weg zum Lernen und Lehren in einer sich stetig verändernden digitalen Realität ebnen. 97 Prozent der Mittel aus dem Basis-DigitalPakt wurden bislang bewilligt. Die Bundesbildungsministerin spricht sich für eine Fortsetzung der Bundesförderung aus, verweist aber auch auf die Notwendigkeit, Landesmittel einzusetzen. mehr...

Bundeskabinett auf den Stufen eines Barock anmutenden Gebäudes.

Bürokratieabbau: Bundesregierung beschließt Entlastungsverordnung

[11.10.2024] Die Bundesregierung hat die Bürokratieentlastungsverordnung beschlossen, die zur Entlastung der Wirtschaft um 420 Millionen Euro pro Jahr beitragen soll. Neben dem Abbau von Anzeige- und Mitteilungspflichten sind auch Maßnahmen zur Förderung der Digitalisierung vorgesehen. Die Verordnung muss nun vom Bundesrat genehmigt werden. mehr...

Die Grafik zeigt, was die Bürger von der digitalen Verwaltung erwarten.

eGovernment Monitor 2024: Digitale Nutzungslücke

[08.10.2024] Die Digitalisierung der Verwaltung hat das Potenzial, das Vertrauen der Bevölkerung in den Staat zu stärken. Dennoch bevorzugen viele noch den analogen Weg. Laut der Studie eGovernment Monitor 2024 erwarten die Bürgerinnen und Bürger einfache und zugängliche Onlinedienste – diese werden aber noch zu selten genutzt. mehr...

Gruppenfoto NKR und Marco Buschmann

Nationaler Normenkontrollrat: Jahresbericht 2024

[02.10.2024] Der Nationale Normenkontrollrat (NKR) hat seinen Jahresbericht zum Bürokratieabbau und zur besseren Rechtsetzung sowie zur Verwaltungsdigitalisierung vorgelegt. Insbesondere für die Wirtschaft sinken die Erfüllungsaufwände, für die Verwaltung steigen sie. Dennoch ist die Gesamtbilanz positiv. mehr...