GesetzgebungKein Recht auf analog

[14.10.2022] Mit zunehmender Digitalisierung von Gesellschaft, Wirtschaft und Verwaltung verschwindet das Analogzeitalter sowohl aus dem Alltag als auch aus der Gesetzgebung. Ein Anrecht auf den analogen Zugang zu Verwaltungsservices wird künftig nicht mehr gelten.
Gesetzgebung: Digitales erhält künftig Vorrang.

Gesetzgebung: Digitales erhält künftig Vorrang.

(Bildquelle: peterschreiber.media/stock.adobe.com)

Während allenthalben von der Digitalisierung die Rede ist und ihr Vorankommen wortreich beschworen wird, geht es auf den Bürgerämtern meist noch sehr analog zu. Das soll sich bekanntlich ändern, braucht nur viel Zeit. Auf der Ebene von Bedeutung und Konnotation hat das Digitale längst die Nase vorn. Es steht für Modernität, Transformation, Transparenz, und es verbinden sich damit mehr Komfort für die Bürgerinnen und Bürger, mehr Effizienz und Wirtschaftlichkeit. Das Analoge hingegen ist zum Sy­nonym für Rückständigkeit geworden, und Schlagzeilen wie „Deutsche Behörden im Analogzeitalter“ sind kaum positiv gemeint. Noch im Jahr 2017 stellte Altkanzlerin Angela Merkel fest: „Wir sind bei der Frage des E-Government in Deutschland doch eher ein Entwicklungsland.“
Interessanterweise ist hierzulande die Gesetzgebung im Kontext der Staats- und Verwaltungsmodernisierung der digitalen Entwicklung stets voraus. In Wirtschaft und Gesellschaft verhalten sich die Dinge ja oft umgekehrt. Modernisierungsprojekte wie BundOnline 2005, die E-Government-Gesetze von Bund und Ländern oder das Onlinezugangsgesetz (OZG) von 2017 haben der Digitalisierung Vorschub geleistet, sodass das Analogzeitalter auch juristisch seinem Ende entgegensieht. Gibt es noch ein „Recht auf analog“? Diese Frage hat sich Jonas Botta gestellt, Referent am Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung in Speyer.

Recht auf analog schwindet

„Ein ‚Recht auf analog‘ schwindet in dem Maße, wie die Verbreitung von IT-Kompetenz und technischem Zugang zunimmt. Vor 20 Jahren haben Verfassungsrechtler aus den Zugangshürden der damals neuen Kommunikationstechnologien ein Recht auf analoge Verwaltung abgeleitet“, erläutert Jonas Botta. „Jetzt gibt es aber nur noch eine ganz kleine Minderheit in Deutschland, die nicht teilhaben kann. Auch für sie muss es Wege geben, mit der Verwaltung in Kontakt zu treten, und muss sich der Staat verantwortlich fühlen. Aber in erster Linie muss er an die Mehrheit denken, die digital gut ausgestattet und kompetent ist und mit der digitalen Verwaltung umgehen kann.“
Laut ARD/ZDF-Online-Studie aus dem Jahr 2021 nutzen fast 67 Millionen Menschen das Internet – 100 Prozent der unter 50-Jährigen, 95 Prozent der Gruppe zwischen 50 und 69 Jahren und 77 Prozent der ab 70-Jährigen. Der Zuspruch beim E-Government sieht zwar nicht ganz so erfolgreich aus und stagniert bei etwa 50 Prozent. Das jedoch soll an den wenigen vorhandenen digitalen Angeboten liegen. Gleichwohl leitet die Legislative daraus die Aufgabe ab, der Digitalisierung weiter auf die Sprünge zu helfen.
Das „Gesetz über die Digitalisierung im Freistaat Bayern“ vom 22. Juli 2022 geht schon von der Vorrangigkeit des Digitalen aus und handelt nach dem Prinzip Digital First: Digitale Verwaltungsleistungen sollen zum Regelfall in Bayern werden. „Wenn Bürger nicht darauf beharren, sich analog an die Verwaltung wenden zu wollen, dann arbeitet die Verwaltung nunmehr digital. Das ist schon ein deutlicher Unterschied zum OZG und den alten E-Government-Gesetzen, die noch an der Gleichrangigkeit von analogen und digitalen Verwaltungszugängen festgehalten haben“, sagt Jonas Botta. Allerdings sieht das bayerische Digitalgesetz in Artikel 12 weiterhin die Möglichkeit vor, Verwaltungsverfahren auch nicht-digital zu erledigen. „Das hätte man aus meiner Sicht auch mit Härtefallklauseln regeln können für diejenigen, die sich etwa aus Barrieregründen oder aus finanziellen Gründen nicht digital an die Verwaltung wenden können.“

Festhalten am Multikanalprinzip

Offenbar hat man sich das noch nicht getraut und hält am Multikanalprinzip fest. Doch wie lange lassen sich solche teuren Doppelstrukturen noch aufrechterhalten? Einerseits immer mehr digitale, von zu Hause abrufbare Services, andererseits die Möglichkeit, alles auch auf dem Amt zu erledigen. Während der Corona-Pandemie hatte ein freischaffender Künstler in Bayern gegen die Künstlerförderung geklagt und sich darauf berufen, mangels technischen Zugangs die Soforthilfen nicht beantragt haben zu können und daher „digital diskriminiert“ worden zu sein. Die Gerichte wollten dem nicht folgen. Ihr Argument: Internet hat man zu haben. Angesichts der Zahlen von ARD und ZDF, die feststellen, dass immerhin noch 23 Prozent der über 70-Jährigen offline sind, könnte die Annahme der bayerischen Gerichtsbarkeit etwas überfortschrittlich erscheinen, sie war aber auch nur auf den konkreten Fall bezogen.
Die Richtung, in die ein solches Urteil weist, ist jedoch unverkennbar. Erst im Mai dieses Jahres hat die Bundesregierung ein „Recht auf schnelles Internet“ erlassen, das die digitale Teilhabe für alle sicherstellen soll. Im Verwaltungsverfahrensgesetz sind längst automatisierte Verwaltungsakte vorgesehen, „solange weder ein Ermessen noch ein Beurteilungsspielraum besteht“. Das Registermodernisierungsgesetz geht noch einen Schritt weiter und zielt auf die Verwirklichung des Once-Only-Prinzips. Das würde tatsächlich eine Automatisierung und Beschleunigung von Verwaltungsvorgängen bedeuten, ist unter Verfassungsrechtlern wegen der Identifikationsnummer allerdings umstritten. Fest steht: Von Digital First zu Digital Only ist es nicht mehr sehr weit, und das derzeit in Vorbereitung befindliche Folgegesetz des OZG wird sich sicherlich zumindest auf die eine Seite schlagen.

Von Digital First zu Digital Only

„Wenn es inzwischen bereits Digital First heißt und mittelfristig Digital Only, so stellt sich die Frage, inwieweit der digitalen Verwaltungstransformation grundrechtliche Grenzen gesetzt sind“, gibt Jonas Botta zu bedenken und plädiert für eine rasche Klärung. „Das Grundgesetz und die Landesverfassungen sehen kein absolutes Abwehrrecht gegen eine digitale Verwaltung vor. Doch verpflichten der Allgemeine Gleichheitsgrundsatz und das Rechtsstaatsprinzip den Staat dazu, auch digital abgehängten Bürgern effektive Verwaltungszugänge zu ermöglichen, beispielsweise durch digitale Service-Terminals in den Bürgerämtern.“
Ob künftig physische Bürgerämter noch in dem Maße nötig sind, wie wir es heute kennen, und unterhalten werden können oder ob Service-Terminals vielleicht auch in Supermärkten zur Verfügung stehen, wird sich erweisen. Durch die allmähliche Abkehr vom Analogzeitalter stehen der Verwaltung und ihren Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen jedenfalls grundsätzliche Veränderungen bevor: Weniger Interaktion und Bürgernähe einerseits, wenn sich Massenverfahren wie die Kfz-Zulassung voll digitalisieren lassen, mehr Zeit für digitale Daseinsvorsorge andererseits. Das Recht ist bereits auf dem Weg dorthin.

Helmut Merschmann




Weitere Meldungen und Beiträge aus dem Bereich: Politik

Berlin: Eckpunkte für Digitalcheck

[21.11.2024] Die Eckpunkte für die Einführung eines Digitalchecks hat der Berliner Senat beschlossen. Der Geschäftsbereich der Chief Digital Officer soll jetzt ein Konzept inklusive eines vorgeschalteten Pilotvorhabens erarbeiten. mehr...

Diagramm zur OZG-Rahmenarchitektur

IT-Planungsrat: Der OZG-Rahmenarchitektur einen Schritt näher

[20.11.2024] In seiner Herbstsitzung hat der IT-Planungsrat das in einem breit angelegten und von einem Konsultationsprozess begleitete Vorhaben iterativ erarbeitete Zielbild der OZG-Rahmenarchitektur beschlossen. mehr...

Gröere Gruppe von Personen in formaler Kleidung auf einer Treppe, alle blicken Richtung Kamera.

IT-Planungsrat: Erster Teil der föderalen Digitalstrategie beschlossen

[18.11.2024] Der IT-Planungsrat hat auf seiner 45. Sitzung unter Leitung von Bundes-CIO Markus Richter die Dachstrategie der Föderalen Digitalstrategie für die Verwaltung verabschiedet. Zudem wurde ein Vertragsentwurf für das Nationale Once-Only-Technical-System (NOOTS) beschlossen. mehr...

Bitkom: Forderung nach Umsetzung von Digitalprojekten

[15.11.2024] Der Digitalverband Bitkom hat jetzt die Bundesregierung aufgefordert, vor den Neuwahlen im Februar möglichst viele digitalpolitische Projekte abzuschließen. Bisher sind lediglich 32 Prozent der geplanten Vorhaben realisiert. mehr...

Baden-Württemberg: Änderung der Gemeindeordnung verabschiedet

[08.11.2024] Der Landtag von Baden-Württemberg hat jetzt eine Änderung der Gemeindeordnung verabschiedet, die Kommunen in administrativen Abläufen entlasten und die finanzielle Berichterstattung vereinfachen soll. mehr...

Weißes Paragrafenzeichen (dreidimensional) lehnt an einer blau-grauen Wand

Cybersicherheit: Stellungnahmen zum NIS2-Umsetzungsgesetz

[07.11.2024] Der Bundestagsausschuss für Inneres und Heimat hat sich mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Umsetzung der NIS2-Richtlinie befasst. Vielen Experten geht der Entwurf nicht weit genug. mehr...

Mann (Jürgen Barke) in einem sehr förmlichen dunkelblauen Anzug mit blauem Schlips und weißem Einstecktuch steht vor einer hellen Wand.

Saarland: Mehr Input zur Digitalpolitik

[05.11.2024] Das Saarland tritt dem GovTech Campus Deutschland bei, um die Digitalisierung der Verwaltung voranzutreiben. Durch die Mitgliedschaft will das Land von dem Innovationsnetzwerk profitieren und aktiv an Digitalpolitik und gemeinsamen Projekten mitwirken. mehr...

Personengruppe in förmlicher Kleidung steht auf einer Wiese vor einer historischen Sandsteinfassade.

Normenkontrollräte: Ambitioniert zum Bürokratieabbau

[05.11.2024] Im Rahmen eines Treffens in Stuttgart haben Normenkontrollräte und Clearingstellen eine Erklärung verabschiedet, die eine Reduzierung der Bürokratiekosten um 25 Prozent innerhalb von vier Jahren anstrebt. mehr...

Montage: ein aufgeklappter Laptop, er Monitor enthält Karteischubladen, eine davon ist ausgezogen und ragt aus dem Bildschirm heraus.

Databund: Datenschutzrisiken im MDWG

[05.11.2024] Der Databund hat zu zwei Gesetzesentwürfen des Bundes Stellung genommen, welche die kommunale Verwaltung betreffen. Im MDWG-Entwurf sieht er Verbesserungen für die Migrationsverwaltung, mahnt jedoch Datenschutzrisiken an. Beim eIDAS-Gesetz begrüßt der Verband die Stärkung der Bundesnetzagentur. mehr...

Symbolbild: Blauer Hintergrund, davor Binärcode-Zahlenreihen und ein Ring aus gelben Sternen (EU-Flagge)

Niedersachsen: NIS2-Richtlinie umgesetzt

[04.11.2024] Niedersachsen setzt als eines der ersten Bundesländer die NIS2-Richtlinie der EU zur Cybersicherheit in der Verwaltung um. Die neue Verwaltungsvorschrift, die Benennung einer zuständigen Behörde für Cybersicherheit und die Einrichtung eines Notfallteams sollen die IT-Sicherheit in besonders kritischen Bereichen stärken. mehr...

Niedersachsenross (steigendes weißes Pferd) aus sich überlappenden Glasplatten als Wanddekoration im Niedersächsischen Landtag.

Niedersachsen: Beteiligung am ZenDiS

[04.11.2024] Niedersachsen will sich am Zentrum für Digitale Souveränität (ZenDiS) beteiligen, um die Abhängigkeit der Landesverwaltung von marktbestimmenden Softwareherstellern zu reduzieren. Das Land könnte so auch von überregionalen Erfahrungen und Projekten profitieren. Dies steht im Einklang mit der Digitalstrategie des Landes. mehr...

Reduzierte Strichzeichnung mit schwarzen Linien auf weiß, die verschiedene Symbole für Bereiche der Digitalisierung zeigt.

BMDV/BREKO: Digital only braucht Glasfaser

[24.10.2024] Die Bundesregierung berichtet über Fortschritte ihrer Digitalstrategie. Der Glasfaserverband BREKO warnt trotz erreichter Erfolge bei 5G und Glasfaser vor Verzögerungen beim Ausbau. Ohne klare politische Weichenstellungen, insbesondere zur Abschaltung des Kupfernetzes, könnte das Ziel einer flächendeckenden Glasfaserversorgung bis 2030 verfehlt werden. mehr...

Im Vordergrund einige leicht unscharf fotografierte Kongressbesucherinnen, hinter ihnen hängt an einem bodentiefen Fenster ein Flatscreen mit pink-violetten Mustern und dem Wort "Digitalgipfel"

Digital-Gipfel 2024: Fokus auf KI und digitaler Souveränität

[23.10.2024] Im Fokus des Digital-Gipfels der Bundesregierung standen die Stärkung der digitalen Souveränität und der Einsatz von Künstlicher Intelligenz. Die Bundesregierung betonte die Bedeutung einer intensiven Datennutzung und der KI-Förderung, um Deutschland im internationalen Wettbewerb zu stärken. mehr...

Digitalisierung: Dresdner Forderungen 2.0

[22.10.2024] Die Fachgruppe Verwaltungsinformatik der Gesellschaft für Informatik hat 20 Thesen zum digitalen Wandel formuliert. Die Forderungen zielen darauf ab, die Verwaltung effizienter, zukunftssicherer und bürgerfreundlicher zu machen. mehr...

Gruppenfoto der Digitalverantwortlichen der Länder vor einer Projektion mit DMK-Logo.

Digitalministerkonferenz: Erfolgreiches zweites Treffen

[21.10.2024] Die Digitalisierung in Deutschland zügiger vorantreiben und digitale Transformation zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger gestalten: Mit dieser Zielstellung haben sich die Digitalverantwortlichen der Länder zur zweiten Digitalministerkonferenz in Berlin getroffen. Wichtige Themen waren Datenschutz und Datennutzung, die Verwaltungscloud-Strategie und die Nutzung von KI. mehr...