InterviewGut kommunizieren
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Dr. Horst Baier
(Bildquelle: Privat)
Herr Dr. Baier, Sie sind seit Ende März Chief Information Officer (CIO) in Niedersachsen. Welche Schwerpunkte haben Sie sich für Ihre Amtszeit gesetzt?
Die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) und die Bereitstellung von Online-Diensten stehen an erster Stelle. Hier möchte ich insbesondere die Nachnutzungsmöglichkeiten bestehender Anwendungen in den Blick nehmen. Damit verbunden ist auch eine stärkere Digitalisierung der Geschäftsprozesse in der Landesverwaltung. Ein weiteres Thema sind die Konsolidierung und Modernisierung der heterogenen IT-Landschaft in der Landesverwaltung. Hohe Bedeutung hat – insbesondere nach den Erfahrungen aus der Corona-Krise – der Ausbau mobiler Arbeitsplätze. Der dritte Schwerpunkt ist die Cyber-Sicherheit, die angesichts der steigenden Bedrohungslage an Bedeutung gewinnt.
Welche Gründe sprachen für die Einrichtung der neuen Stabsstelle „Informationstechnik der Landesverwaltung“?
Die Neuorganisation verfolgt das Ziel, die Stellung der IT in der Landesverwaltung zu stärken. Zugleich wurde damit das politische Signal gesendet, dass die Digitalisierung für die Zukunftsfähigkeit der Landesverwaltung sehr bedeutsam ist. Durch die Schaffung der neuen Leitungsstelle wurde auch die Möglichkeit verbessert, intensiver in die Kommunikation mit den Digitalisierungspartnern einzusteigen. Dies zielt vor allem auf die verschiedenen Behörden und Ressorts im Land, auf die Kommunen, die IT-Dienstleister sowie sonstige Verbände und öffentliche Institutionen ab.
Wie gestaltete sich Ihr Arbeitsbeginn in Zeiten der Corona-Pandemie?
Ich habe meinen Dienst am 20. März 2020 angetreten und habe ein leeres Verwaltungsgebäude vorgefunden. Dank einer guten IT-Infrastruktur konnten in kurzer Zeit 16.000 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im Homeoffice arbeiten. Das persönliche Kennenlernen lief daher überwiegend per Videokonferenz. Insofern waren und sind das schon erschwerte Bedingungen.
Welche Erfahrungen aus Ihrer langjährigen Praxis in der Kommunalverwaltung kommen Ihnen in dem neuen Amt zugute?
Die Stärken der Kommunen sind ein gewisser Pragmatismus und eine Problemlösungsorientierung, die bei der Umsetzung der Digitalisierung im Land sicher nicht schaden kann. Ich habe persönlich verschiedene IT-Projekte verantwortet und als Bürgermeister der Samtgemeinde Bersenbrück Vorhaben wie Verwaltungsportal, E-Akte, Rechnungseingangsworkflow, Ratsinformationssystem, Business-Intelligence-Lösungen und Managed-IT angestoßen. Diese praktischen Erfahrungen helfen mir als CIO, die Herausforderungen der digitalen Transformation der Landesverwaltung zu meistern. Ein Bürgermeister muss seine Ziele gut kommunizieren, die Menschen mitnehmen und Allianzen für die Umsetzung bilden. Dabei sind manchmal auch Kompromisse einzugehen, um schneller voranzukommen. Diese Erfahrungen möchte ich in meiner neuen Funktion einbringen.
„Die Verwaltung der Zukunft organisiert ihre Prozesse aus dem Blickwinkel der Bürger.“
Wie ist die Zusammenarbeit mit den Kommunen in Niedersachsen organisiert?
Wir haben regelmäßige Gesprächsformate mit den kommunalen Spitzenverbänden eingerichtet und sind durch ihre Beteiligungen in einem engen Austausch in Gremien des Landes. Zusätzlich unterstützt uns ein kommunales Kompetenz-Team in der Projektarbeit. Zur Intensivierung der Zusammenarbeit beteiligen sich jetzt auch das Land und die kommunalen Spitzenverbände an GovConnect, einem Zusammenschluss kommunaler IT-Dienstleister.
Wie sehen Sie Niedersachsen im Ländervergleich bei der Verwaltungsmodernisierung aufgestellt? Wo besteht noch Nachholbedarf?
Ich sehe Niedersachsen beim Ländervergleich derzeit im Mittelfeld. Wir haben ein umfassendes Digitalisierungsprogramm unter dem Namen DVN (Digitale Verwaltung Niedersachsen) aufgelegt und wurden zum Glück mit einem guten Budget ausgestattet. Das DVN umfasst 16 Einzelprojekte mit einem erheblichen Ressourceneinsatz. Unser hausinterner Dienstleister, IT.Niedersachsen, spielt bei der Umsetzung eine wichtige Rolle. Die zum Teil sehr tiefgehende Basisarbeit in den Projekten ist schon gut vorangekommen. Nach außen ist diese Arbeit aber noch nicht sichtbar geworden. Die notwendigen strategischen Grundsatzentscheidungen über die künftige Struktur der Zusammenarbeit mit Partnern hat leider viel Zeit in Anspruch genommen. Mit der Beteiligung an GovConnect und der Kooperation mit dem IT-Dienstleister Dataport im Verbund der Nordländer ist die künftige Struktur nun klar definiert. Wir können dadurch insbesondere bei der Entwicklung und Nachnutzung von Online-Diensten durchstarten.
Wie zuversichtlich sind Sie, dass der Zeitplan für das OZG eingehalten werden kann?
Im Moment arbeiten alle Verwaltungsebenen in Bund, Ländern und Kommunen mit Hochdruck an der Umsetzung des OZG bis Ende 2022. Nach meinem Eindruck aus den ersten Gremiensitzungen auf Bundesebene und auch im Land Niedersachsen ist hier mittlerweile ein großes Rad ins Rollen gekommen. Wir haben nun mal nicht so einfache Strukturen wie Estland oder Dänemark, die gerne als Vorbilder genannt werden. Ich glaube, die meisten und wichtigsten Services aus dem Katalog der 575 Dienstleistungen werden bis zum Stichtag umgesetzt sein. Die Integration der Portallösungen in die dahinterliegenden Fachverfahren hingegen wird noch längere Zeit in Anspruch nehmen.
Was erwarten Sie von der digitalen Verwaltung der Zukunft?
Die Verwaltung der Zukunft organisiert ihre Prozesse aus dem Blickwinkel der Bürgerinnen und Bürger, die heute ganz selbstverständlich digitale Leistungsangebote erwarten – am besten über eine App auf dem Smartphone. Notwendige Daten für die Abwicklung von Verwaltungsprozessen fließen nach Einwilligung automatisch und sorgen für einen geringeren Aufwand und eine Zeitersparnis. Die Beschäftigten in der Verwaltung arbeiten mit Software-Systemen, bei denen die meisten Daten über ein Portal und Registerauskünfte eingespeist werden und bei denen durch Algorithmen und künstliche Intelligenz Entscheidungsvorschläge für die Fälle mit Ermessensspielraum unterbreitet werden. Notwendige Beratungsbedarfe können über die Anforderung eines Videotelefonats mit einem Sachbearbeiter oder über einen Chatbot gedeckt werden. Die Bearbeitung der Leistungen erfolgt losgelöst von der formalen Vollzugskompetenz von Bund, Ländern und Kommunen. Der Gang zum Rathaus oder zu einer Behörde wird durch digitale Angebote weitestgehend überflüssig. Die Notwendigkeit einer funktionalen Verwaltungsreform wird dadurch stärker in den Fokus rücken. Gleichzeitig erhoffe ich mir von der Digitalisierung eine mutige Diskussion, wo Abläufe vereinfacht und hierarchiefreier gestaltet oder am besten gleich gesetzliche Regelungen angepasst werden können. Bei jedem neuen Gesetz sollte in Zukunft auch eine Folgenabschätzung in Bezug auf die Anpassungsnotwendigkeiten von IT-Systemen Pflicht werden.
Dieser Beitrag ist in der Ausgabe September 2020 von Kommune21 erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren.
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