E-AkteFehlersuche durch alle Instanzen
Gerichtsverfahren sind eine komplexe Angelegenheit. Fakten müssen ermittelt, Spuren verfolgt, Zeugen und Beteiligte befragt werden, bevor ein Urteil gefällt werden kann. All dies geschieht meist noch auf der Grundlage umfangreicher Papierakten. Die gesetzlich verankerte Einführung der elektronischen Akte bis 2026 soll die Digitalisierung in der Justiz vorantreiben und Richter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte entlasten. Doch was passiert, wenn die E-Akte im Gerichtsalltag einfach nicht funktionieren will und abstürzt? Genau das ist einem Kunden von IBM passiert, nachdem der landesweite Roll-out der E-Akte an allen Gerichten begonnen hatte.
Wie bei vielen IT-Projekten hatten sich alle Beteiligten im Vorfeld viele Vorteile versprochen: schnellere Verfahrensabläufe durch übersichtlichere, schnell recherchierbare digitale Prozessakten statt dicker Papierstapel. Dazu hatte ein Landesjustizministerium ein Projekt ins Leben gerufen, um die E-Akte zu entwickeln und dann einzuführen. IBM war einer der beteiligten IT-Dienstleister und übernahm Entwicklungs- und Wartungsaufgaben.
Nach zweieinhalb Jahren Betrieb funktionierte die E-Akte plötzlich nicht mehr so reibungslos wie erwartet. Es kam zu Systemausfällen und immer wieder zu Performance-Problemen bei der Arbeit mit der E-Akte. Auftraggeber und Dienstleister standen vor einem Rätsel: Denn die E-Akte lief nicht nur einfach nicht mehr performant – niemand wusste, wo die Performance-Probleme ihren Ursprung hatten.
Komplexe IT-Umgebung
Die eingesetzte IT-Umgebung ist sehr komplex, teilweise Cloud-basiert und besteht aus vielen Servern, zusätzlichen virtuellen Servern, Hypervisoren und verschiedenen Containern. Diese wiederum existieren für die vielen unterschiedlichen Bereiche der Justiz, wie zum Beispiel für die ordentliche Gerichtsbarkeit, die Fachgerichte oder für die Staatsanwaltschaften. Für alle diese Bereiche ist die E-Akte jedoch organisatorisch kritisch und ihr Funktionieren daher ein Muss. Eine rasche Stabilisierung des Systems war daher unerlässlich.
Die Fehleranalyse erwies sich in dieser Systemlandschaft mit ihren vielen Instanzen und Architekturschichten als extrem zeitaufwendig. Die eingesetzten Analyse- und Monitoring-Tools beleuchteten lediglich Teilaspekte, da sie meist nur für einzelne Systeme optimiert sind. Die Probleme entstanden jedoch auf Applikationsebene und jedes der zahlreichen Back-End-Systeme konnte der Auslöser sein. Moderne IT-Umgebungen sind oft sehr unübersichtlich: Der schleichende Übergang zu Multi-Cloud-Umgebungen, Microservices, Containern, Kubernetes und das schier unermessliche Wachstum der Datenmengen erzeugen eine Komplexität, der die Systemadministratoren in den IT-Abteilungen immer seltener ohne zusätzliche Hilfsmittel gewachsen sind.
Auch hier waren verschiedene Spezialisten aus unterschiedlichen Bereichen erforderlich, um die zahlreichen Analysedaten zu verstehen und zu interpretieren. Sie mussten auch in der Lage sein, die Daten zu korrelieren, um die Ursache des Problems in der hochkomplexen E-Justiz-Umgebung zu identifizieren. Hinzu kam, dass die identifizierten notwendigen Änderungen nur mit langen Vorlaufzeiten umgesetzt werden konnten.
Zusammenarbeit neu organisiert
Um die elektronische Akte zum Laufen zu bringen, mussten zwei Dinge geändert werden: Zum einen wurde die Zusammenarbeit neu organisiert. Alle Beteiligten mussten über die bisherigen Organisations- und Zuständigkeitsgrenzen der Behörden hinweg zusammenarbeiten. Zweitens wurde eine IT-Lösung benötigt, die weit über die Möglichkeiten der bisherigen Analysewerkzeuge hinausging. Sie musste in der Lage sein, ein Gesamtbild der laufenden Prozesse und ihrer Performance über das gesamte IT-System der E-Akte zu liefern.
Um die Zusammenarbeit zwischen den Beteiligten zu optimieren, wurde zunächst eine spezielle Taskforce eingerichtet, die sich gezielt mit der Performance-Problematik befasste. In dieser Taskforce arbeiteten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Ministeriums, des Justizteams des zentralen IT-Dienstleisters des Landes sowie externe Expertinnen und Experten der beteiligten Unternehmen direkt zusammen. Dadurch, dass alle Beteiligten an einem Tisch saßen, verkürzten sich die Reaktionszeiten bei auftretenden Problemen erheblich. Nachdem diese eine Veränderungsaufgabe im Team gemeistert war, musste für die zweite Herausforderung eine geeignete Lösung gefunden werden. IBM brachte die hauseigene Software IBM Instana ins Spiel, eine Observability-Lösung für das Application Performance Monitoring.
Dank Agenten alles im Blick
Observability-Lösungen klinken sich über kleine Überwachungsprogramme, so genannte Agenten, in verschiedenste Systeme ein. Sie überwachen diese dann kontinuierlich und führen alle gesammelten Daten zu einem Gesamtbild zusammen. Dazu gehören Informationen aus Applikationen, Datenbank-Dumps, die Auslastung realer und virtueller CPUs sowie einzelner Microservices, einzelner Container oder des gesamten Kubernetes-Systems. So ermöglichen sie einen tieferen, ganzheitlichen Blick auf die IT-Landschaft und zeigen, warum und wo Probleme auftreten und welche Systeme oder Anwendungen genau die Auslöser sind.
Die neueste Generation solcher Observability-Lösungen kann auch cloudnative Anwendungen verwalten. Diese Anwendungen können sich auf mobilen Geräten, in öffentlichen oder privaten Clouds oder vor Ort im eigenen Rechenzentrum oder auf einem Großrechner befinden. Sie bauen selbstständig ein kontextbezogenes Verständnis der Anwendungen auf und liefern dem IT-Team dann automatisch Informationen und Lösungsvorschläge zu möglichen Problemen wie langen Antwortzeiten oder ausgefallener Infrastruktur. So kann die IT rechtzeitig eingreifen, bevor Schaden für das Unternehmen entsteht oder Kunden unzufrieden werden.
Ressourcen-Diebstahl
Nachdem das Team die neue Lösung beim zentralen IT-Dienstleister des Landes installiert und in Betrieb genommen hatte, konnte das Problem rasch eingegrenzt werden. Die Analyse zeigte, dass es bei zwei Dokumenten-Management-Systemen in der E-Justiz-Umgebung zu einem ständigen Ressourcen-Diebstahl (CPU-Stealing) kam. Das heißt, die virtuellen CPUs dieser Systeme warteten auf Rechenzeit der realen CPU, die aber gerade Berechnungen für andere virtuelle CPUs durchführte. Dies korrelierte mit einer hohen CPU-Last auf den betroffenen Servern, die Prozessoren waren überlastet. Dies führte dann zu den Leistungseinbußen, die für den Systemausfall verantwortlich waren.
Ohne einen ganzheitlichen Blick auf die E-Justiz-Umgebung hätte das Team diesen Fehler bei Weitem nicht so schnell gefunden. Allein das Zusammentragen der notwendigen Informationen hätte wahrscheinlich Tage gedauert. Nach dem ersten Einsatz der Observability-Lösung konnte hingegen innerhalb von vier Tagen eine Lösung gefunden und sofort implementiert werden. So konnte das IT-Team die E-Akte schnell wieder in die Gerichtssäle zurückbringen.
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