BundDigitalisierung ist Daueraufgabe
Herr Dr. Richter, weil das Onlinezugangsgesetz (OZG) nicht fristgerecht fertig wird, ist vom IT-Planungsrat (IT-PLR) ein OZG-Booster beschlossen worden. Was ist darunter zu verstehen?
Wir werden die Ziele des OZG, gerade in der zeitlichen Dimension und in der Flächenskalierung, deutlich verfehlen. Das entbindet uns aber nicht von der gesetzlichen Pflicht, bis zum Jahresende auf allen Verwaltungsebenen digitale Services zur Verfügung zu stellen. Der Booster heißt also nicht, dass wir das gesetzliche Ziel fallen lassen und uns nicht am gesetzlichen Auftrag messen lassen wollen. Vielmehr geht es beim Beschluss des IT-Planungsrats darum, dass wir ambitioniert dafür sorgen wollen, wichtige Digitalleistungen bis zum Jahresende flächendeckend verfügbar zu machen.
Welche sind das konkret und welche davon sind schon fertig oder befinden sich auf der Zielgeraden?
Ein Teil ist bereits heute verfügbar, ein anderer Teil wird es noch im Laufe des Jahres sein. Zur ersten Gruppe zählen der Führerschein digital, das Elterngeld, der digitale Bauantrag, ALG II und Wohngeld. Diese Leistungen sind bereits heute nach dem Einer-für-Alle-Prinzip (EfA) für die Nachnutzung vorhanden. Aus der zweiten Gruppe möchte ich vor allem auf die Ummeldung aufmerksam machen, denn sie gehört zu den wirklich häufigen Vorgängen in der Verwaltung. Auch Einbürgerung und Personalausweis sind Lösungen, die jetzt abgeschlossen werden und dann in die Fläche kommen.
Was sind aus Ihrer Sicht die Hauptgründe für die Verzögerung beim OZG?
Das sind vor allem drei Dinge. Erstens brauchen wir gemeinsame technische Standards. Davon sind wir immer noch ein gutes Stück entfernt. Mit der Verwaltungscloud-Strategie wollen wir technische Infrastrukturen schaffen und Standards setzen, auf denen dann Verwaltungslösungen betrieben werden. Das Zweite ist, dass wir bei der Flächendeckung vor allem die Einbindung der Kommunen noch weiterentwickeln müssen. Dabei geht es auch um Ressourcenfragen und finanzielle Unterstützung. Das Dritte ist der Change-Prozess. Wenn Sie einen Bauantrag, der höchsten Standards entspricht und eine Kollaborationsplattform umfasst, in die Fläche bringen, dann ist ein großer Change-Prozess vor Ort erforderlich, mit Schulungen und allem was dazugehört. Das muss auch auf den Leitungsebenen in den Verwaltungen erkannt werden.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat bei der Vorstellung des Digitalprogramms des Bundes mehrfach das Jahr 2025 hervorgehoben. Wird dies die neue OZG-2.0-Frist sein?
Ich halte wenig davon, das OZG jetzt einfach fortzuschreiben und als Erfolgskriterien wieder eine Anzahl von Leistungen zu nehmen. Mir wäre es wichtig, dass wir in Deutschland anerkennen, dass Digitalisierung eine Daueraufgabe ist, die uns noch lange begleiten wird. Wir können uns jährliche Meilensteine vornehmen. Dabei sollten wir aber nicht einzelne Leistungen zählen, sondern eher darstellen, wie viele Menschen und Unternehmen durch eine Leistung erreicht und entlastet worden sind. Und wenn wir diese Meilensteine nicht erreichen, dann müssen wir diskutieren, woran das liegt, und die Gründe angehen, beispielsweise indem wir die Usability erhöhen.
„Im Föderalismus sollten wir intelligenter zusammenarbeiten, als wir es heute tun.“
Bayern und Nordrhein-Westfalen setzen beim Führerscheinumtausch auf Eigenlösungen, Baden-Württemberg hat ein Prozessmodell aufgesetzt für den schnelleren digitalen Verwaltungszugang. Sachsen wählt einen Sonderweg beim EfA-Dienst für Fundsachen. Ist nicht mehr Vereinheitlichung notwendig?
Solche singulären Lösungen sind erstmal gar nicht schädlich und stehen einem OZG-Ansatz nicht zwingend entgegen. In Baden-Württemberg wird eine Bearbeitungsstraße für den einfachen Bau von Services angelegt, die durchaus vom Einer-für-Alle-Prinzip abgebildet werden. Das ist nicht unabgestimmt erfolgt und auch kein neues Phänomen. Wir haben eben in Deutschland in vielen Leistungsbereichen schon Lösungen, die nicht im OZG-Kontext entstanden sind, und es stellt sich immer die Frage: Wie stellen wir Interoperabilität her und was ist das Zielbild? Klar ist aber auch, dass der Bund nur einmal für eine Leistung bezahlt.
Die Bundesinnenministerin hat angekündigt, dass die weitere Finanzierung des OZG gedeckt sei. Bezieht sich das nur auf die Entwicklung oder auch auf den Betrieb?
Dass der Bund den Betrieb von IT-Lösungen auf kommunaler oder Länderebene finanziert, ist finanzverfassungsrechtlich nicht zulässig. Wir sehen aber gerade, dass die Konjunkturmittel, die limitiert bis zum Ende dieses Jahres laufen, nicht vollständig abgerufen wurden. Wir wollen, dass diese Mittel übertragbar werden. In den aktuellen Entwürfen für den Haushalt im Jahr 2022 und 2023 ist vorgesehen, dass die Mittel, die im vergangenen Jahr verfallen sind, auf dieses sowie das nächste Jahr aufgeschlagen werden.
Ab wann müssen Länder und Kommunen den OZG-Betrieb in die eigenen Haushalte einpreisen?
Ich würde empfehlen, das sofort zu tun. Dass der Bund drei Milliarden Euro und faktisch 2,4 Milliarden davon den Ländern zur Verfügung gestellt hat, ist sicher gut, aber keine Selbstverständlichkeit. Dauerhaft mit Konjunkturmitteln zu rechnen, ist nicht angezeigt. Die bestehende Rechtslage verpflichtet jeden dazu, seine Rechnung selbst zu bezahlen.
Die Bundesregierung wäre durch das OZG ermächtigt, an vielen Stellen einzugreifen und Standards, IT-Komponenten und Infrastrukturen vorzugeben. Was spricht dagegen?
Der Bund hat in bestimmten Fallkonstellationen die Möglichkeit, Verfahren verbindlich bundesweit vorzugeben. Das ändert aber nichts daran, dass diese einheitlichen Verfahren am Ende auch funktionieren müssen. Es ändert auch nichts an den technischen Voraussetzungen und den Change-Prozessen, die notwendig sind. Es gibt ein Commitment der Länder, die Leistungen gemeinsam nutzen zu wollen, und diese Beschlusslage entspricht gewissermaßen einem einseitigen Vorgehen. Entscheidend ist doch, dass den Worten Taten folgen und eine Zusammenarbeit entsteht. Die gestaltet sich durch einen kooperativen Ansatz viel leichter. Der Unterschied zwischen einer einseitigen Möglichkeit des Bundes und einer einvernehmlichen Beschlusslage von Bund und Ländern ist also gar nicht so groß.
Föderalismus kann aber schon hinderlich sein, oder?
In jedem Fall bin ich ein Befürworter davon, dass wir im Föderalismus intelligenter zusammenarbeiten, als wir es heute tun. Es 11.400 Städten, Gemeinden und Landkreisen selbst zu überlassen, sich an das System anzuschließen, Finanzierungsfragen zu klären und Ressourcen einzusetzen, ist eine große Herausforderung. Wir alle wissen, dass Technik heute so beschaffen ist, dass Dinge an ein oder zwei Stellen betrieben und flächendeckend angeboten werden können. Das ist auch deutlich effizienter. Es wird sicher immer wieder eine Föderalismusdiskussion geben, und wir müssen sie auch führen. Das Gebot der Stunde ist aber, möglichst intelligent im bestehenden System zusammenzuarbeiten.
Dieser Beitrag ist in der Ausgabe Juni 2022 von Kommune21 im Schwerpunkt OZG erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren.
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