PersonalwesenDie Bremse lösen

[01.04.2021] In der öffentlichen Verwaltung stehen aktuell zahlreiche Digitalisierungsvorhaben auf der Agenda. Vielfach fehlt es dafür aber an Know-how und entsprechenden Experten. Um dem Fachkräftemangel zu begegnen, empfiehlt sich ein mehrgleisiges Vorgehen.
Behörden müssen sich personell massiv verstärken.

Behörden müssen sich personell massiv verstärken.

(Bildquelle: Jakub Jirsák/123rf.com)

Der öffentlichen Verwaltung in Deutschland fehlen Spezialkompetenzen für die Umsetzung ihrer Digitalisierungsvorhaben. Fast drei Viertel (72 Prozent) der Entscheider bei Bund, Ländern und Kommunen berichten von nicht besetzten IT-Stellen. Das sind Ergebnisse des Branchenkompass Public Sector 2020 von Sopra Steria und dem F.A.Z.-Institut. Um diese Bremse zu lösen, sollte man mehrgleisig fahren und sämtliche Maßnahmen in ein Gesamtkonzept einbetten.
Der Mangel an Fachkräften ist für die öffentliche Verwaltung kein neues Phänomen. Allerdings ist mit der gesetzlichen Verankerung von Digitalisierungsvorhaben und damit verbundenen Fristen, beispielsweise im Onlinezugangsgesetz (OZG), der Druck gestiegen, schnell voranzukommen. Und die Digital-Agenda ist lang: E-Akte, Open und Mobile Government sowie Cloud Computing und Automatisierung sollen die öffentliche Verwaltung effizienter machen und Behördengänge für Bürgerinnen und Bürger vereinfachen. Dazu gehören Bausteine wie das Einrichten von Bürgerkonten, Registermodernisierung, digitale Bezahlverfahren, elektronische Unterschriften und die Möglichkeit, sich online zu identifizieren.

Im Wettbewerb um Experten

Für all diese Projekte und Transformationsvorhaben müssen sich die öffentlichen Verwaltungen personell massiv verstärken. Dabei geht es nicht allein um eine quantitative Aufstockung, sondern vielmehr darum, Experten mit einem speziellen beruflichen Hintergrund zu gewinnen. Für die Einführung und kluge Verwendung notwendiger Technologien wie Robotic Process Automation, künstliche Intelligenz und Blockchain benötigen Bund, Länder und Kommunen unter anderem Data Scientists, IT-Sicherheitsexperten und Machine-Learning-Profis. Und diese sind auch in der Privatwirtschaft begehrt. Jeder dritte Behörden-Manager beklagt fehlendes Spezialwissen und Know-how-Lücken bei seinen Beschäftigten, so der Branchenkompass von Sopra Steria.
Um für Fachkräfte attraktiver zu sein, setzt die öffentliche Verwaltung auf Anreize. Das Besoldungsstrukturenmodernisierungsgesetz, seit dem Jahr 2020 in Kraft, erlaubt beispielsweise Prämien und Zulagen, um neue Digitalfachkräfte gewinnen und das bestehende IT-Personal halten zu können. 61 Prozent der Behörden investieren laut der Studie zudem seit circa zwei Jahren verstärkt in Skill- oder Personalressourcen-Management. Personalinvestitionen gestalten sich in der Praxis allerdings schwierig. Die Haushaltslage ist durch die Corona-Pandemie angespannt. Ein drohender Rückgang der Steuereinnahmen trifft den Public Sector mit voller Wucht. Das erhöht den Aufwand für die Personalgewinnung zusätzlich zum ohnehin harten Wettbewerb am Arbeitsmarkt. Investitionen in Recruiting, Projektplanstellen sowie Arbeitgeber-Marketing und Gehaltsanreize müssen noch stärker begründet werden als vor 2020.

Digitalisierung nicht nur technisch betrachten

Der Ausweg führt über eine Strategie, die mehrgleisig ausgerichtet sein sollte, ohne dabei nach dem Gießkannenprinzip zu verfahren. Voraussetzung ist, dass Behördenleitung und HR-Abteilung den Know-how-Aufbau für die Digitalisierung nicht nur technisch betrachten: Behörden benötigen Expertise in unterschiedlichen Disziplinen. Gefragt sind Menschen mit Transferdenken, denn es werden künftig viele neue Services dazukommen, die nicht einfach eingekauft und betrieben werden können. Zudem entstehen neue Referate und Abteilungen, in denen geschulte Leute den Produktlebenszyklus digitaler Services betreuen und steuern. Bund, Länder und Kommunen benötigen somit ebensoviel Know-how darin, wie Leistungen aus Sicht der Bürger neu zu denken sind. Diese Philosophie des kundenzentrierten Arbeitens erfordert eine neue Kultur, um Abläufe nach dem Lebenslagenprinzip umzustellen, über Hierarchien hinweg zu kommunizieren und zusammenzuarbeiten. Die öffentliche Verwaltung sollte somit nicht nur Ausschau nach Entwicklern, Web-Designern und IT-Architekten halten, sondern auch nach Prozess- und Produkt-Managern mit technischen Fähigkeiten oder zumindest einer ausgeprägten Affinität, sich diese anzueignen.

Quereinsteigern eine Chance geben

Beim Rekrutieren sollten Behörden sich von der Idee des Perfect Match wegbewegen und den Kreis der Kandidaten erweitern. Denn die Profile sind häufig zu eng gefasst, sodass etwa Quereinsteiger kaum eine Chance haben. Zudem dauert die Suche nach der Optimalbesetzung zu lange. Die Lücke bei technischer oder fachlicher Qualifikation lässt sich mit dem Hebel der Befähigung schließen. Auch aus finanziellen Gründen ist das ein zentrales Instrument im Kampf gegen den Fachkräftemangel: Die Kosten für die Rekrutierung von zu 100 Prozent passenden Kandidaten sind in der Regel größer als die für das Schließen von Know-how-Lücken bei zu 70 oder 80 Prozent passenden Bewerbern.
Das Befähigen neuer sowie langjähriger Mitarbeiter dauert in vielen Behörden derzeit jedoch länger als gewünscht. Das liegt häufig daran, dass sich die Beschäftigten überfordert fühlen, weil neue Skills nicht richtig vermittelt werden. Schulungen und Weiterbildungen sollten individueller zur persönlichen Situation einzelner Personen passen, auf deren Vorkenntnisse abgestimmt sein und sich an unterschiedliche Alters- und Zielgruppen wenden.

Mitarbeiter begeistern

Ein dritter wichtiger Punkt ist die Aktivierung der Beschäftigten als Botschafter. Behörden sollten ihr Personal mehr als bislang in Veränderungsprozesse einbinden. Das kann im Kleinen beginnen, beispielsweise beim Arbeitgeber-Marketing. Durch mehr Rückkopplung, wie sich die Arbeit verbessern lässt und welche Skills aus Sicht der Mitarbeiter benötigt werden, steigt die Attraktivität der Behördenarbeit – und im Ergebnis dann auch die Weiterempfehlungsrate. Personalabteilungen in der Verwaltung erhalten somit eine größere Zahl an Bewerbungen.
Um innovativer sowie attraktiver für junge Arbeitnehmer zu werden, planen 88 Prozent der befragten Behörden laut dem Branchenkompass mehr Beteiligung an digitalen Veränderungsprozessen. Mehr als jede zweite Behörde organisiert die Arbeit künftig in crossfunktionalen Teams und führt agile Methoden ein. IT- und Fachseite sollen besser voneinander lernen, um Projekte zu beschleunigen. 56 Prozent der Befragten können sich zudem vorstellen, Verwaltungsdienstleistungen und Fachverfahren auch von privaten IT-Unternehmen zu beziehen. Behörden könnten digitale Prozesse und Technologien aus einer Hand von außen erhalten und so einen Teil des notwendigen Digitalwissens einkaufen, statt es selbst aufzubauen.

Behörden brauchen ein Gesamtkonzept

Die geäußerten Pläne sind gute Ansätze, um die Bremsen in der Verwaltungsmodernisierung kurzfristig zu lösen. Mittelfristig werden Bund, Länder und IT allerdings nicht um einen breiten Aufbau interner digitaler Kompetenzen herumkommen. Die größten Erfolge mit Breitenwirkung werden Behörden dann erzielen, wenn sie die skizzierten Maßnahmen in ein Gesamtkonzept gegen Fachkräftemangel einbetten und die einzelnen Bausteine verzahnen.

Ulf Glöckner ist Leiter von Sopra Steria Next Public, der Management-Consulting-Sparte von Sopra Steria. Janina Lux ist bei Sopra Steria Next Public Unit-Leiterin für Change Management und Innovation.




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