Cloud-InfrastrukturDer digitale Ruck

[31.10.2019] Auf der Explained-Konferenz von Microsoft wurde die digitale Souveränität aus dem Blickwinkel der Wirtschaft diskutiert. Ein Ergebnis: In der Datenökonomie wird der Staat als nicht satisfaktionsfähig erachtet.

Auf dem Digitalgipfel der Bundesregierung in Dortmund (28. bis 29. Oktober 2019) hat Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier eine „vernetzte Dateninfrastruktur als Wiege eines vitalen, europäischen Ökosystems“ angekündigt und das Projekt Gaia-X vorgestellt (wir berichteten). Demnach ist eine Vernetzung von öffentlichen und mittelständischen Rechenzentren zu einer Euro-Cloud vorgesehen, in der „Daten sicher und vertrauensvoll verfügbar gemacht, zusammengeführt und geteilt werden können“. Die Cloud soll den „höchsten Ansprüchen an digitale Souveränität“ genügen.
In einem Konzeptpapier heißt es: „Zur Umsetzung der vernetzten Dateninfrastruktur erachten wir eine zentrale, europäisch getragene Organisation für notwendig. Sie soll aus wirtschaftlicher, organisatorischer und technischer Sicht die Basis für eine vernetzte Dateninfrastruktur sein. Ihre Aufgabe wird sein, eine Referenzarchitektur zu entwickeln, Standards zu definieren sowie Kriterien für Zertifizierungen und Gütesiegel vorzugeben. Sie soll ein neutraler Mittler und Kern des europäischen Ökosystems sein.“
Zeitgleich fand am Montag in Berlin die Explained-Konferenz von Microsoft zum Thema Digitale Souveränität statt. Nachdem sich in der letzten Zeit Bedenken gegen die Vormachtstellung von Microsoft-Software in der öffentlichen Verwaltung breit gemacht hatten, wollte der IT-Konzern das Thema Digitale Souveränität möglichst breit diskutieren lassen. Hintergrund ist auch, dass die cloudbasierten Software-Pakete Office 365 und Windows 10 Telemetrie- und zum Teil auch Nutzerdaten in die Microsoft-Cloud liefern, deren Rechenzentren unter anderem in den USA stehen und dem US-Cloud-Act unterliegen (wir berichteten). Das widerspricht der europäischen Datenschutz-Grundverordnung, sodass sich die EU bemüßigt sieht, Datenschutzfolgenabschätzungen vornehmen zu lassen.

Das schaffen wir nicht?

Microsoft ist ein weltweit agierender Konzern, der aus seiner Monopolstellung wenig Hehl macht. Zu seiner Kundschaft gehört nicht nur die öffentliche Verwaltung, sondern vor allem auch mächtige Wirtschaftsunternehmen und viele Millionen Privatkunden. Unter ihnen ist das Problembewusstsein hinsichtlich Cloud-Diensten und Datenschutz offensichtlich weniger stark verbreitet. So zumindest ließe sich erklären, dass Sabine Bendiek, Vorsitzende der Geschäftsführung von Microsoft Deutschland, sehr selbstbewusst Kooperationen und Partnerschaften verlangte, die Microsoft immer gewillt sei einzugehen. Es komme darauf an, die Handlungsfähigkeit zu bewahren, wobei digitale Souveränität nicht mit Autarkie verwechselt werden dürfe. „Soll man digitale Souveränität als politisches Primat herbeiwünschen?“, fragte Bendiek in Richtung Peter Altmaier. „Ist eine Staats-Cloud eine sinnvolle Alternative?“
Die Deutschland-Chefin ließ keinen Zweifel an ihrer Ansicht aufkommen: Wenn man alles selbst erledige, könne man mit der hohen Innovationsgeschwindigkeit nicht Schritt halten – vor allem nicht der öffentliche Sektor, für den die Digitalisierung ohnehin eine „riesige Herausforderung“ sei. Es klingt schon etwas herablassend, wenn dann einerseits ein „Update für das Betriebssystem Verwaltung“ gefordert und gleichzeitig die „Erfolgsgeschichte DSGVO“ beschworen wird nach dem Motto: Schuster bleib bei deinen Leisten.
Mit ihrer Einschätzung war Sabine Bendiek auf der Explained-Konferenz nicht allein. Hinrich Thölken, Digitalbotschafter im Auswärtigen Amt, erklärte, dass wenn von digitaler Souveränität geredet wird, meistens Abhängigkeit gemeint sei. „Meiner Beobachtung nach kommen vor allem kleine Länder und Diktaturen schnell bei der Digitalisierung voran.“ Notwendig sei deshalb eine höhere Entwicklungsgeschwindigkeit. „Ein digitaler Ruck muss durch Deutschland gehen“, sagte Thölken. Gemeinsame Ziele und Kooperationen seien in dieser Hinsicht entscheidend. Mit Blick auf Deutschlands beiden wichtigsten Handelspartner, USA und China, hält Thölken die KI-Strategie der Regierung (wir berichteten) für richtungsweisend: „Souveränität durch Kooperation“. Auch Christian Mölling von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik sprach sich für Handlungsmächtigkeit anstelle des Souveränitätsbegriffs aus.
Nun war von einer Konferenz im Hause Microsoft sicherlich keine Fürsprache für Protektionismus zu erwarten. Und tatsächlich ist ja fraglich, ob eine Euro-Cloud, für die man sich jetzt vier Jahre Zeit lassen will, einen Mehrwert gegenüber den heute existierenden Industrie-Clouds haben wird. Dass aber Microsoft so gar nicht erkennen lässt, wie der Konzern auf die Datenschutzbedenken der Europäer und auf ihre Forderung, Datenabflüsse steuern zu wollen, reagiert, zeigt eins: In der Datenökonomie wird der Staat als nicht satisfaktionsfähig erachtet.

Helmut Merschmann




Weitere Meldungen und Beiträge aus dem Bereich: IT-Infrastruktur
Eine Gruppe von acht Personen steht auf einem violett ausgeleuchteten Podium, im Hintergrund ein Banner mit der Aufschrift: Once Only Trechnical System.

BMI: EU-weites Once Only erprobt

[20.12.2024] Deutschland beteiligte sich am fünften Projectathon der EU-Kommission in Brüssel, um das grenzüberschreitende Once-Only-Prinzip zu testen. Erfolge wie das Projekt DENLAT und die grenzüberschreitende Gewerbeanmeldung zeigen, wie Daten effizient zwischen Mitgliedstaaten ausgetauscht werden können. mehr...

Composite: ein in blau gehaltener schemenhafter Computer-Arbeitsplatz, davor die Illustration eines Dokuments mit einem Schloss daran

BA/DRV/DGUV: Multi-Cloud-Strategie für Sozialversicherungen

[19.12.2024] Die Bundesagentur für Arbeit, die Deutsche Rentenversicherung und die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung haben einen Rahmenvertrag mit dem Multi-Cloud-Broker Computacenter geschlossen. Dieser ermöglicht Zugriff auf Clouddienste von US-Hyperscalern und europäischen Anbietern. mehr...

S-Management Services: Neuer Service zur Aktualisierung von XÖV-Standards

[08.11.2024] S-Management Services bietet jetzt einen neuen Service, der es öffentlichen Verwaltungen erleichtern soll, stets aktuelle Versionen der XÖV-Standards einzusetzen. mehr...

Thüringen: NOOTS in Bundesverantwortung

[07.11.2024] Der Freistaat Thüringen unterstützt den Vorschlag von Bremen und Sachsen-Anhalt, dass die Bundesländer dem Bund die Verantwortung über eine wichtige föderale IT-Plattform überlassen. mehr...

Rechenzentrum von innen, Blick in eine Gasse mit blau beleuchteten Server-Racks.

OSBA: Sovereign Cloud Stack bleibt

[30.10.2024] Die Plattform Sovereign Cloud Stack wird nur noch bis Jahresende vom Bundeswirtschaftsministerium finanziert. Ein neu gegründeter Zusammenschluss von Open-Source-Unternehmen innerhalb der Open Source Business Alliance wird auch in Zukunft zentrale Ergebnisse absichern und die Weiterentwicklung der Standards gewährleisten. mehr...

MACH: Bundestemplate vor der Einführung

[25.10.2024] Bundesbehörden können mit dem neuen Bundestemplate MACH alle haushaltsrelevanten Vorgänge standardisiert und digitalisiert ausführen. Als erstes testet das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe ab 2025 die neue Lösung. mehr...

Das Bild zeigt einen Bildschirm mit einer Ansicht des Programms disy Cadenza.

Disy/Ionos: Datensouveräne Umgebung

[04.10.2024] Das Karlsruher Unternehmen Disy Informationssysteme und der Cloudanbieter Ionos haben eine Kooperation gestartet, um innovative und datenschutzkonforme Software-as-a-Service-Lösungen anzubieten. mehr...

Das Bild zeigt Oliver von Kleist, Partner Manager Cloud bei ]init[, und Tim Kartali, Head of Global Partner Sales bei IONOS.

init / Ionos: Gebündelte Kräfte für Verwaltungscloud

[24.09.2024] Um digitale Cloudlösungen im öffentlichen Sektor voranzutreiben, haben die Unternehmen init und Ionos eine Kooperation vereinbart. Ziel ist es, sichere und skalierbare Plattformen anzubieten, die speziell auf die Anforderungen der Verwaltung zugeschnitten sind. mehr...

Das Bild symbolisiert das Thema Cloud Computing.

Delos Cloud: Erste Dienste für 2025 geplant

[23.09.2024] Die Delos Cloud für die öffentliche Verwaltung soll im kommenden Jahr an den Start gehen. Die Partner Delos Cloud, Microsoft und Arvato Systems haben jetzt Verträge unterzeichnet, die den Betrieb und die Zusammenarbeit sicherstellen. mehr...

Das Bild zeigt eine stilisierte Platine mit enem Cloud-Symbol und dem Schriftzug SAP.

SAP: Milliarden für sichere Cloudlösungen

[20.09.2024] In den kommenden zehn Jahren will SAP mehr als zwei Milliarden Euro in die Entwicklung hochsicherer Cloudlösungen für den öffentlichen Sektor und stark regulierte Branchen investieren. mehr...

Rechenzentrum von innen, Blick in eine Gasse mit blau beleuchteten Server-Racks.

Bayern: Neuer ELSTER-Standort

[05.09.2024] Mit rund 22 Millionen aktiven Benutzerkonten gilt ELSTER als eines der erfolgreichsten E-Government-Verfahren Deutschlands. Östlich von München wurde nun ein neuer Rechenzentrumsstandort eingeweiht, der zur Ausfallsicherheit beitragen soll. mehr...

Bayern/Sachsen: Zukunftsweisende KI-Forschung

[08.08.2024] Energieeffiziente Hardware und entsprechende Softwarekomponenten für KI-Anwendungen will eine länderübergreifende Hochschulkooperation im Forschungsprojekt GAIn (Next Generation Al Computing) entwickeln. Die Freistaaten Bayern und Sachsen bezuschussen das Projekt mit insgesamt sechs Millionen Euro. mehr...

Hochwasserwarnschild vor einer überfluteten Fläche

Niedersachsen: Stabssoftware CommandX wird erprobt

[30.07.2024] Das Land Niedersachsen pilotiert in Kreis Uelzen die Stabssoftware CommandX. Diese soll im Katastrophenfall die Kommunikation aller Stäbe und Stellen vereinfachen und beschleunigen. Bis zum Jahresende soll die Lösung an zahlreichen Stellen in ganz Niedersachsen ausgerollt sein. mehr...

Das Bild zeigt die Außenansicht der Firmenzentrale von Bechtle.

Bechtle: Großauftrag für Apple-Geräte

[29.07.2024] Der IT-Dienstleister Bechtle liefert 300.000 Apple-Geräte im Wert von bis zu 770 Millionen Euro an Bundesbehörden. Bei der Abwicklung des Auftrags wird Bechtle von Materna unterstützt. mehr...

Die deutsche Delegation auf dem 4. Projectathon in Brüssel.

Registermodernisierung: Once-Only für Geburtsnachweis erprobt

[18.07.2024] In Brüssel fand zum vierten Mal der Projectathon statt. Das Event bringt die EU-Mitgliedstaaten zusammen, um deren Beiträge zur Once-Only- und zur Single-Digital-Gateway-Umsetzung interoperabel zu testen. Der deutschen Delegation gelang der grenzüberschreitende Nachweisaustausch im Bereich Personenstand zur Umsetzung des Once-Only-Prinzips. mehr...