InterviewBarrierefreie IT nützt allen

[10.10.2023] Mit den gesetzlichen Vorgaben zur barrierefreien Informationstechnik ist der Beratungsbedarf im öffentlichen Sektor enorm gestiegen. Kommune21 sprach darüber mit Professorin Erdmuthe Meyer zu Bexten, Landesbeauftragte für barrierefreie Informationstechnik in Hessen.
Prof. Dr. Erdmuthe Meyer zu Bexten

Prof. Dr. Erdmuthe Meyer zu Bexten, Landesbeauftragte für barrierefreie Informationstechnik in Hessen

(Bildquelle: HZD)

Frau Professorin Meyer zu Bexten, mit der zunehmenden Digitalisierung gewinnt das Thema Barrierefreiheit in der IT an Bedeutung. Hat sich das etwa bei der Gestaltung von Websites schon herumgesprochen?

In den Ministerien und nachgeordneten Behörden sowie bei den kommunalen IT-Dienstleistern ist das Thema barrierefreie IT schon längst angekommen. Gerade kleinere Gemeinden tun sich aber noch schwer. Wir haben viele Anfragen von Kommunen, die ihre Internet-Auftritte barrierefrei gestalten wollen und dabei Unterstützung benötigen.

Sie sind eine der wenigen Landesbeauftragten für barrierefreie IT in Deutschland. Wie sind Ihre Aufgaben definiert?

Als Landesbeauftragte berate ich nicht nur die Landesregierung, sondern sensibilisiere für das Thema im ganzen Land und sorge dafür, dass Barrierefreiheit in der IT insgesamt mehr Aufmerksamkeit erhält. Mir ist es wichtig zu zeigen, dass barrierefreie Informationstechnik nicht nur für Menschen mit Behinderungen unentbehrlich ist, sondern für alle. Ältere Menschen profitieren davon genauso wie beispielsweise Technik-Laien oder Bürger, die situativ oder temporär eingeschränkt sind.

Wie können Sie den Behörden und Kommunen helfen?

Das Landeskompetenzzentrum Barrierefreie Informationstechnik (LBIT) hat die Aufgabe, die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben zu überwachen. Wir prüfen, ob behördliche Internet-Angebote barrierefrei gestaltet sind. Da die Überwachungsstelle erst nach der Überprüfung der Barrierefreiheit von Behörden-Websites beraten darf, gibt es noch das Landeskompetenzzentrum. Hier beraten wir Behörden und Kommunen, wie sie ihre Websites von Anfang an barrierefrei gestalten können.

Wie ist die digitale Teilhabe von Menschen mit Behinderungen gesetzlich geregelt?

Die Europäische Union hat die Richtlinie (EU) 2016/2102 über den barrierefreien Zugang zu den Websites inklusive Dokumente und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen erlassen. Diese Richtlinie verpflichtet öffentliche Stellen, ihre Websites inklusive Dokumente und mobilen Anwendungen barrierefrei zu gestalten. Die EU-Mitgliedstaaten haben diese Richtlinie in nationales Recht umgesetzt. In Deutschland geschah dies durch das Behindertengleichstellungs­gesetz (BGG). Es regelt die barrierefreie Gestaltung durch öffentliche Stellen des Bundes, der Länder sowie von Unternehmen und Organisationen, die dem öffentlichen Recht unterliegen. Die Barrierefreie Informationstechnik-Verordnung (BITV) wiederum konkretisiert die Anforderungen an barrierefreie Informationstechnik. Die Durchführungsverordnung schreibt vor, dass jede Website eine Erklärung zur Barrierefreiheit enthalten muss, in der angegeben wird, welche Bereiche noch nicht barrierefrei sind und bis wann dies der Fall sein wird. Außerdem muss jede Website über einen Feedback-Mechanismus verfügen, damit Fehler an die jeweilige Institution gemeldet werden können. In Hessen beispielsweise muss eine Institution dann innerhalb von sechs Wochen reagieren und den Fehler beheben.

„Wichtig ist, dass die Regeln konsequent umgesetzt und eingehalten werden.“
Wie wirken sich die Regelungen auf die digitale Teilhabe aus?

Die BITV stellt sicher, dass digitale Kommunikation für alle Menschen zugänglich ist. Dies kann durch Textalternativen für Bilder, Untertitel für Videos, gut erkennbare Links und Schaltflächen sowie eine klare Strukturierung der Inhalte erreicht werden. Auch öffentliche Dienstleistungen, die online angeboten werden, müssen für alle Bürgerinnen und Bürger zugänglich sein. Nach der BITV müssen Web-Seiten, Online-Formulare und andere E-Government-Dienste barrierefrei gestaltet sein. Damit sind die Regeln klar definiert. Wichtig ist aber, dass die Regeln konsequent umgesetzt und eingehalten werden. Hier arbeiten die Bundesländer eng zusammen.

Welche Arten von Behinderungen erschweren die Nutzung von IT-Systemen und welche Hilfsmittel gibt es?

Es betrifft alle Arten von Behinderungen, die man sich vorstellen kann. Menschen mit Sehbehinderungen haben Schwierigkeiten, kleine Schriften oder visuelle Inhalte auf Bildschirmen zu erkennen. Screenreader, Vergrößerungssoftware oder eine Tastatur, die Informationen auf dem Bildschirm in Brailleschrift anzeigt, können ihnen helfen. Für Menschen mit Hörbehinderungen sind Untertitel, Transkriptionen oder visuelle Hinweise wichtig. Menschen mit motorischen Einschränkungen, die Tastatur oder Maus nicht präzise bedienen können, benötigen sprachgesteuerte oder spezielle barrierefreie Eingabegeräte. Dies sind nur einige Beispiele. Viele Menschen sind auch temporär oder situativ eingeschränkt. Deshalb möchte ich noch einmal betonen, dass letztlich alle Menschen von barrierefreier Informationstechnik profitieren.

Gerade im öffentlichen Sektor geht es jetzt auch darum, barrierefreie Software zu entwickeln. Ist das Know-how dafür überhaupt vorhanden?

Viele Software-Entwickler haben sich dieses Wissen noch nicht angeeignet, da barrierefreie IT noch nicht flächendeckend als Studienfach angeboten wird. Auch in der Ausbildung von Fachinformatikern wird Barrierefreiheit vielleicht angesprochen, aber auch hier wird nicht vermittelt, wie man eine Website oder Dokumente barrierefrei gestaltet. Wir arbeiten übrigens eng mit ekom21 zusammen. Zwei Mitarbeitende des kommunalen IT-Dienstleisters sitzen hier bei uns. Wir beraten ekom21, und das Unternehmen betreut für uns die Kommunen.

Welche Standards und Normen müssen berücksichtigt werden?

Es gibt verschiedene Normen, an denen sich Entwickler orientieren müssen. Die Anforderungen an die Barrierefreiheit digitaler Produkte und Dienstleistungen sind beispielsweise in der Norm EN 301 549 festgelegt. Sie basiert auf den Web Content Accessibility Guide­lines (WCAG), einem internationalen Standard des World Wide Web Consortiums. Derzeit arbeiten wir im Landeskompetenzzentrum Barrierefreie Informationstechnik eng mit dem Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) zusammen und entwickeln gemeinsam einen Standard-Anforderungskatalog. Dieser soll den Software-Entwicklern eine Hilfestellung geben, welche Anforderungen und Normen zu berücksichtigen sind. Zudem gibt es ein Online-Schulungsmodul auf der Plattform des eGov-Campus zum Thema „Digitale Barrierefreiheit – Teilhabe für alle“. Hier wird von der Sensibilisierung über gesetzliche Rahmenbedingungen bis hin zur Umsetzung umfassendes Wissen vermittelt.

Ist es überhaupt möglich, eine Website oder Software vollständig barrierefrei zu gestalten?

Das ist natürlich sehr schwierig. Wir haben beim Testen noch keine Seite gefunden, die nicht noch Fehler hatte. Aber man kann sagen, dass die Websites in den vergangenen Jahren viel besser geworden sind. Vor ein paar Jahren gab es noch schreckliche Websites, heute muss man schlechte Beispiele mit der Lupe suchen.

Interview: Alexander Schaeff




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