OZG 2.0Keine Zahlen, keine Fristen
Dass die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) nicht fristgerecht gelingen wird, war seit Langem klar. Mit dem offiziellen Auslaufen des OZG am 31. Dezember 2022 bleibt die Zahl der vorhandenen Online-Dienste überschaubar. Es ist nicht nichts geschehen, so die verbreitete Meinung, aber doch zu wenig. Der Nationale Normenkontrollrat zählt in seinem aktuellen Jahresbericht (wir berichteten) 33 von 575 flächendeckend verfügbaren Verwaltungsdienstleistungen. Im OZG-Dashboard sieht das anders aus – dort weist das Land Nordrhein-Westfalen 372 Online-Dienste auf, allerdings nur „in mindestens einer Kommune“. Das ist der Kern des Problems. Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds, bezeichnet „die Gesamtbilanz alles andere als zufriedenstellend. Digitalisierung bleibt in Deutschland eine Dauerbaustelle.“
Immerhin: „Der Bund hat seine Verpflichtungen aus dem OZG im Wesentlichen erfüllt“, erklärt Markus Richter, Beauftragter der Bundesregierung für Informationstechnik, im aktuellen OZG-Newsletter. Neben dem Online-Zugang zu 87 von 115 Leistungen, für die der Bund im Zuge des OZG verantwortlich war, stellt Richter besonders das Bundesportal und das Nutzerkonto des Bundes, die so genannte BundID (wir berichteten), heraus, auf die sich klugerweise immer mehr Bundesländer einigen – beispielsweise Berlin, Brandenburg, Hessen und das Saarland. Darüber hinaus verweist Richter auf das Elterngeld (wir berichteten) und den ALGII-Antrag als gelungene Umsetzungsbeispiele aus dem Digitalisierungsprogramm Föderal, für das Länder und Bund gemeinsam zuständig waren. Leider sind sie noch nicht in allen Bundesländern, geschweige denn Kommunen zugänglich. Und auch das tatsächlich bundesweit ausgerollte BAföG-digital weist einen Pferdefuß auf: In einigen BAföG-Ämtern sollen laut Branchendienst Golem die digitalen Eingänge ausgedruckt und – mangels Personal und Kompetenz – händisch weiter bearbeitet werden.
Zentrale gemeinsame Infrastruktur
Als Gründe für den Rückstand und die großen Probleme bei der Flächenabdeckung werden vor allem zwei Argumente geltend gemacht: zum einen die Infrastruktur, zum anderen die Fachverfahren. Das Onlinezugangsgesetz befasst sich lediglich mit dem Online-Zugang und hat die Anbindung an vor Ort in den Kommunen teils schon vorhandenen, teils noch zu errichtenden Fachverfahren nicht in den Blick genommen. Für Peter Kuhn, Mitarbeiter am Landesforschungsinstitut des Freistaats Bayern fortiss, hängt damit unmittelbar das Einer-für-Alle-Prinzip (EfA) zusammen: „Die Entwicklung eines EfA-Online-Dienstes ist nur der erste Schritt. Um diesen Dienst in der Fläche anbieten zu können, muss er mit unzähligen Fachverfahren in den zuständigen Behörden verknüpft werden und zwar über IT-Systemgrenzen hinweg. Durch die heterogene Schnittstellenlandschaft der IT-Systeme und Fachverfahren finden diese Verknüpfungen in der Regel manuell statt und sind entsprechend aufwendig.“ Der Roll-out von EfA-Diensten sei insbesondere für Kommunen komplex und auch kostspielig.
Eine Lösung liegt in einer zentralen, gemeinsamen Infrastruktur, wie es sie in Großbritannien, Italien und Estland gibt und hierzulande unter anderem vom Normenkontrollrat gefordert wird. Die Vorstellungen gehen von einer gemeinsamen Infrastruktur mit so genannten Basiskomponenten für Authentifizierung, Payment und Kommunikation aus. Und sie liegen mit der BundID, ePayBL und der einheitlichen Schnittstelle für die Übermittlung von Antragsdaten FIT-Connect auch bereits vor. Auf der Abteilungsleiterrunde des IT-Planungsrats Mitte November 2022 (wir berichteten) wurde die Verwendung einer standardisierten Bezahlschnittstelle und die Datenübermittlung per FIT-Connect oder OSCI dann auch beschlossen.
Es weihnachtet sehr
Derweil drängt das Bundesinnenministerium darauf, die Länder mögen ihren Kommunen Basisdienste und Schnittstellen anbieten und dies rechtlich vorbereiten. Der Erfolg des OZG hänge insbesondere von der Anbindung der kommunalen Ebene ab. Das Thema Verwaltungsdigitalisierung ist inzwischen eine Etage höher angelangt und am 8. Dezember 2022 auf der Ministerpräsidentenkonferenz behandelt worden. Dort wurde unter anderem grünes Licht für die Weiterfinanzierung zunächst bis 31. März 2023 gegeben. Bis dato war unklar, ob die Digitalisierungsmittel aus dem Corona-Konjunkturprogramm ins nächste Haushaltsjahr gerettet werden können. Im entsprechenden Beschluss heißt es: „Eine Neuausrichtung der Finanzierungsmodalitäten der FITKO kann zunächst auch ohne Neufassung des IT-Staatsvertrags“ umgesetzt werden.
Was die Novellierung des Onlinezugangsgesetzes anbelangt, gehen die Beschlüsse von der „digitalen Antragstellung als Regelfall“ aus (Digital First) und wollen sie für Unternehmen verpflichtend einführen (Digital Only). Das Schriftformerfordernis soll durch eine Generalklausel ersetzt werden und das EfA-Prinzip künftig auch bei der Entwicklung von Fachverfahren Berücksichtigung finden. Sehr deutlich sprechen sich die Ministerpräsidentinnen und -präsidenten für die „Bereitstellung zentraler Basiskomponenten durch den Bund oder ein Land nach dem EfA-Prinzip statt zahlreicher individueller (Landes-)Lösungen“ aus und stellen darüber hinaus eine Anschubfinanzierung für den Aufbau einer deutschen Verwaltungscloud in Aussicht.
Nachdem der im Juni 2022 verkündete „OZG-Booster“ (wir berichteten), der die fristgerechte Umsetzung und flächendeckende Verteilung von wenigstens 35 Massenverfahren bis Jahresende versprochen hatte, nun ebenfalls Geschichte ist, ist ein Strategiewechsel bezüglich der Priorisierung von Aktivitäten zu erkennen. Nunmehr fordern die Ministerpräsidenten eine „Konzentration auf die wesentlichen Verwaltungsleistungen, die vollständig, durchgängig und medienbruchfrei digital transformiert werden“ können. Sie bitten den IT-Planungsrat „um Prüfung, bei welchen besonders herausgehobenen Leistungen die rechtlichen Rahmenbedingungen so vereinfacht werden können, dass eine medienbruchfreie digitale Abwicklung möglich wird“.
Gesetzentwurf in Abstimmung
Momentan befindet sich der Gesetzentwurf für ein so genanntes OZG 2.0 in der Ressortabstimmung. Der Normenkontrollrat ist in seinem Jahresbericht sehr deutlich geworden und fordert: „Weniger Vielfalt bei den Kernkomponenten (EfA-Basiskomponenten), dafür mehr Wettbewerb bei den Software-Lösungen, eingebettet in ein orchestrierendes Architektur-Management und verpflichtet auf ein klares, öffentliches Standardisierungsregime (EfA-Standards) – das muss Ziel und Gegenstand eines OZG 2.0 sein.“ Ob diese Zentralisierungswünsche in Erfüllung gehen, erscheint leider fraglich. Fest steht aber bereits, dass der neue OZG-Entwurf auf Zahlen und Fristen verzichten wird. Man will sich nicht mehr auf eine Anzahl von Verwaltungsverfahren und den Zeitpunkt ihrer Fertigstellung festlegen lassen. Stattdessen wird die Verwaltungsdigitalisierung zur Daueraufgabe erklärt.
In einem Punkt erkennt der Entwurf allerdings indirekt Zeitpläne an, nämlich wenn es um Rechtsakte der Europäischen Union geht. Gemeint ist unter anderem die EU-Verordnung zum Single Digital Gateway (SDG), das bis Ende 2023 umgesetzt werden muss und eine Bestandsaufnahme der OZG-Leistungen beinhaltet (wir berichteten). Insofern kommen dann auch wieder Zahlen ins Spiel. Hierfür soll eine „Verordnungsermächtigung“ zum Tragen kommen, welche die Bundesregierung ermächtigt, „bestimmte IT-Komponenten“ verbindlich vorzugeben, wovon die Länder aber wiederum abweichen können, wenn sie alternative „geeignete IT-Komponenten“ bereitstellen. Eine weitere Möglichkeit besteht freilich immer: die Frist einfach reißen – und danach sieht es jetzt schon aus.
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