InterviewDas OZG hängt an der Cloud

[31.10.2022] Ralf Kleindiek, seit Dezember vergangenen Jahres neuer Berliner Chief Digital Officer, spricht im Kommune21-Interview über den Digitalisierungsstand in der Hauptstadt sowie die Zukunft des Onlinezugangsgesetzes und des Einer-für-Alle-Prinzips.
Dr. Ralf Kleindiek

Dr. Ralf Kleindiek

(Bildquelle: Foto Kirsch)

Herr Kleindiek, Sie sind seit Dezember vergangenen Jahres neuer Berliner Chief Digital Officer (CDO) und haben zu Ihrem Amtsantritt 100 digitale Akteure besucht. Welche Eindrücke haben Sie dabei gewonnen?

Die Idee war, in den ersten 100 Tagen 100 Akteurinnen und Akteure aus allen Bereichen zu treffen, die mit der Digitalisierung in Berlin zu tun haben. Die Verwaltung war dabei, die Wirtschaft, die Wissenschaft und die Zivilgesellschaft. Dabei habe ich drei Dinge bemerkt: Erstens, dass sich die Gespräche und Themen, die sich aus dem 100-Tage-Programm ergeben haben, fortsetzen und ich mit vielen Menschen weiterhin in Kontakt stehe. Zweitens haben wir in Berlin ein wahnsinniges Potenzial, hier arbeiten 120.000 Menschen im Bereich Digitalisierung. Das gibt es nirgendwo sonst in Europa. Uns beneiden etwa viele um die sehr erfolgreiche und starke Start-up-Szene. Die dritte Erkenntnis ist, dass dieses Potenzial für die öffentliche Hand, Verwaltung und Politik noch viel zu wenig genutzt wird und wir die Zusammenarbeit der einzelnen Bereiche deshalb intensivieren müssen.

Berlin bildet eines der Schlusslichter bei der Verwaltungsdigitalisierung. Woran liegt das?

Ich bin als CDO für alle gesamtstädtischen Fragen der Digitalisierung verantwortlich, so auch für die Digitalisierung der Verwaltung. Zu meinen Aufgaben gehört, dafür zu sorgen, dass wir etwa das so genannte 14-Tage-Ziel erreichen und alle Bürgerinnen und Bürger innerhalb von zwei Wochen einen Termin beim Bürgeramt bekommen können. Wir haben uns auch die Modernisierung der Ordnungsämter vorgenommen und wollen, dass das Behörden-Pingpong zwischen Senat und Bezirken aufhört und die Zuständigkeiten geklärt werden. Das alles sind große Transformationsvorhaben. Seit Mitte Mai dieses Jahres nutzt das Bezirksamt Mitte als erste Behörde die neue Version der digitalen Akte, Ende August ist die Innenverwaltung gefolgt und sukzessive kommen in diesem Jahr noch 15 weitere Verwaltungen auf Bezirks- und Landesebene hinzu. Laut Berliner E-Government-Gesetz muss die digitale Akte bis Ende 2024 eingeführt sein. Das ist eines meiner wichtigsten Projekte.

Warum kam es zu so großen Verzögerungen bei der E-Akte? Andere Länder und Kommunen sind längst weiter.

Die Einführung der elektronischen Akte ist für alle Verwaltungen eine große Herausforderung, nicht nur in Berlin. Und das nicht allein in technischer Hinsicht, sondern vor allem, weil es sich um ein großes Transformationsprojekt und Reorganisationsvorhaben handelt. In Berlin gibt es einige Besonderheiten, unter anderem eine Ausschreibung, die wiederholt werden musste. Diese Hürden sind jetzt überwunden, und es gibt einen verlässlichen Plan.

Sind die Zuständigkeiten mit den Berliner Bezirken nun geklärt und gibt es künftig keine eigene IT mehr in den Rathauskellern?

Es gibt eine klare politische Verständigung im Koalitionsvertrag darüber, dass die Landesverwaltung zum ITDZ Berlin kommt, dem zentralen IT-Dienstleister. Bei den Bezirken ist es aufgrund ihrer Eigenständigkeit nicht ganz so einfach möglich, wird im Ergebnis aber trotzdem dazu führen. Das setzt einerseits die Leistungsfähigkeit des ITDZ voraus und geeignete Rahmenbedingungen, nicht zuletzt finanzielle, damit sich das ITDZ besser entwickeln kann, als dies bislang der Fall war. Andererseits müssen die Verwaltungen eine Bereitschaft zur Migration entwickeln. Zur Zentralisierung gibt es aus technischen und fiskalischen Gründen und nicht zuletzt auch unter IT-Sicherheits­aspekten keine Alternative.

„Nach fünf Jahren OZG wissen wir, dass die Verwaltungscloud ein absoluter Erfolgsfaktor ist.“

Wie weit ist Berlin beim Onlinezugangsgesetz (OZG)? Laut OZG-Dashboard sind bislang nur 80 OZG-Leistungen verfügbar, nämlich die des Bundes.

Wir haben in Berlin rund 120 Dienstleistungen, die wir digital in unterschiedlichen Reifegraden anbieten. Wir müssen uns noch mit dem Bund darüber verständigen, wie wir das im Dashboard genau zählen und dokumentieren können. Berlin hat beim OZG die Federführung für den elektronischen Nachweis übernommen, da geht es beispielsweise um Heirats- und Geburtsurkunden. Spätestens im Frühjahr nächsten Jahres werden wir soweit sein, dass wir sie nutzen können. Generell muss man eingestehen: Die Ziele des Onlinezugangsgesetzes noch bis Ende dieses Jahres zu erreichen, war seit Längerem für die Bundesländer unrealistisch. Das habe ich sehr früh gesagt und hätte mir dies auch vom Bund gewünscht, damit wir gemeinsam mit den Ländern und Kommunen früher in die Diskussion darüber hätten eintreten können, wie wir mit dieser Situation umgehen. Es darf kein erneutes Scheitern des OZG-Vorhabens geben! Deswegen brauchen wir realistische Ziele, die wir auch finanzieren können. Das betrifft alle, die daran beteiligt sind, aber vor allem Kommunen und Länder, die zum Teil noch einen erheblichen Nachholbedarf haben. Wir sollten jetzt nicht ein unrealistisches Ziel durch ein neues ersetzen.

Wie stehen Sie zum Einer-für-Alle (EfA)-Prinzip?

Das Einer-für-Alle-Prinzip hat viel Dynamik erzeugt, doch wenn man sich das Ergebnis anschaut, dann ist der Ertrag, also die Nachnutzung ganz konkreter Dienstleistungen, minimal. Die Quote fällt umso geringer aus, je kleiner eine Kommune ist. Es überrascht also wenig, dass das EfA-Prinzip bei der Freien und Hansestadt Hamburg mit dem Dienstleister Dataport offenbar gut funktioniert, während es in einer ganzen Reihe von Flächenstaaten deutlich weniger erfolgreich ist. Ich plädiere dafür, dass wir das EfA-Prinzip neu justieren und prüfen, ob solche Nachnutzungen technologisch, fiskalisch, rechtlich und organisatorisch sinnvoll sind oder nicht.

Man gewinnt den Eindruck, dass mit dem Scheitern des OZG die Länder an eigenen Lösungen und Verteilwegen sitzen. Macht jetzt wieder jeder seins?

Nein, der Eindruck täuscht. Wir brauchen den FIT-Store und auch die Möglichkeiten, die sich durch den Marktplatz von govdigital eröffnen. Die zentralen Dienstleister der einzelnen Länder werden künftig sehr viel stärker zusammenarbeiten. Damit Dienstleistungen jedoch einfach und umstandslos genutzt werden können, brauchen wir möglichst schnell leistungsfähige Cloud-Lösungen. Jede Dienstleistung in jeder Kommune eigenständig zu etablieren, wäre ein sehr mühsamer Weg. Nach fünf Jahren OZG wissen wir, dass die Verwaltungscloud ein absoluter Erfolgsfaktor ist. Gleichermaßen ist für mich wichtig, dass es eine Fokussierung gibt und die 575 Dienstleistungen ebenso wie die EfA-Leistungen priorisiert werden müssen. Was sind die 50 bis 60 Dienstleistungen, die 80 Prozent der Verwaltungsvorgänge ausmachen? Hierauf will ich mich in Berlin konzentrieren.

Können Sie uns schon etwas über das geplante OZG 2.0 sagen?

Es gibt noch keinen Referentenentwurf seitens des Bundes für die Fortführung des OZG. Im November findet eine Klausurtagung der CIOs von Bund und Ländern statt. Dort werden wir über die wesentlichen Inhalte sprechen. Mit Sicherheit wird es ein Nachfolgegesetz geben. Vor dem Hintergrund der finanziellen Handlungsmöglichkeiten, wenn die Bundesmittel auslaufen, wird die politische Verständigung mit den Kommunen wieder schwieriger. Darum werbe ich dafür, dass man eine bundesgesetzliche Vorgabe realistisch formuliert.

Interview: Helmut Merschmann




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