InterviewIm digitalen Maschinenraum

[08.10.2020] Der neue Bundes-CIO Markus Richter will die Digitalisierung der Verwaltung mit einem Neun-Punkte-Plan voranbringen. Im Kommune21-Interview erläutert er das Programm, verteidigt das Einer-für-Alle-Prinzip und schließt ein OZG 2.0 aus.
Dr. Markus Richter

Dr. Markus Richter

(Bildquelle: BMI)

Herr Staatssekretär Richter, Sie haben seit Mai das Amt des Beauftragten der Bundesregierung für Informationstechnik inne. Welche Ziele und Schwerpunkte haben Sie sich gesetzt?

In den Gesprächen mit meinen Kolleginnen und Kollegen im Bundesinnenministerium ist mir schnell klar geworden: Ich bin hier im Maschinenraum der Digitalisierung angekommen. Ob Digitale Gesellschaft, Digitale Verwaltung oder Cyber-Sicherheit – kein anderes Ressort bündelt so viele Kompetenzen im digitalen Bereich wie das Bundesinnenministerium. Mein Ziel ist, die Fortschritte und Entwicklungen durch konkrete Erfolge erlebbar zu machen. Dazu habe ich die neun aus meiner Sicht wichtigsten Punkte in einem Digitalisierungsplan zusammengestellt. Darin findet sich zum Beispiel der Online-Ausweis, ein Kennzeichen für IT-Sicherheit und die Digitalakademie. Mit diesem Neun-Punkte-Plan möchte ich in den kommenden Monaten vorankommen.

Welche Erfahrungen aus Ihrer Arbeit beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) kommen Ihnen in dem neuen Amt zugute?

Um aus eingefahrenen Bahnen heraus zu kommen, braucht man manchmal einen Anstoß von außen. Genau so einen Anstoß haben wir im BAMF während der Flüchtlingskrise erhalten, als hunderttausende Flüchtlinge in sehr kurzer Zeit nach Deutschland kamen. Ihre Versorgung, Registrierung und Integration wurden zur Mammutaufgabe für Staat und Gesellschaft. Allein die Bearbeitung der Asylverfahren nach dem ursprünglichen System mit vielen analogen Schnittstellen zu anderen Behörden hätte die Verwaltung auf Jahre lahmgelegt. In kurzer Zeit wurden damals neue Verfahren eingeführt – vollständig digital und medienbruchfrei. Da ist mir noch einmal bewusst geworden, wie schnell die Verwaltung reagieren kann, wenn es sein muss. Heute sind wir in einer ähnlichen Situation. Corona führt uns vor Augen, wie wichtig digitale Prozesse für einen resilienten Staat sind.

„Das OZG ist ein Herkulesprojekt und komplex in der Umsetzung.“

Wie wird das Neun-Punkte-Programm die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung voranbringen?

Wir wollen das Onlinezugangsgesetz bis 2022 im Sinne der Nutzerinnen und Nutzer umsetzen. Daher müssen wir jetzt die entscheidenden Weichen stellen, etwa bei der Registermodernisierung, der Nachnutzung bereits entwickelter Leistungen oder der elektronischen Identifizierung. Dafür setze ich mich auch als Vorsitzender des IT-Planungsrats ein. Die Umsetzung dieser zentralen Maßnahmen wird mit einem straffen Controlling hinterlegt, sodass wir die Fortschritte der Projekte besser im Blick haben und kurzfristig nachsteuern können.

Ist der Zeitrahmen für die Umsetzung des OZG noch zu halten oder ist bereits ein OZG 2.0 in Planung?

Wir sind auf einem guten Weg. In diesem Jahr gehen weitere wichtige Leistungen online, wie die Anträge für BAföG, Einbürgerung und den Führerschein. Das OZG ist ein Herkulesprojekt und komplex in der Umsetzung. Bisher haben wir hauptsächlich mit Leuchtturmprojekten geglänzt. Wir sind jetzt in der Umsetzungsphase angelangt. Nun kommt es darauf an, dass wir die Online-Verfahren aus den Digitalisierungslaboren und den Pilotkommunen auch in die Fläche bringen. Es gibt das eine Onlinezugangsgesetz und das wollen wir erfüllen. Derzeit gibt es keine Planung für eine Art OZG 2.0.

Das von Ihnen propagierte Einer-für-alle-Prinzip findet nicht überall Zustimmung.

Wir stehen weiterhin hinter dem Prinzip, welches auch im Konjunkturpaket bekräftigt wurde. Es bedeutet, dass eine digitale Lösung nur einmal in einem Land entwickelt und dann länderübergreifend von allen anderen nachgenutzt wird. So können Bürgerinnen und Bürger oder Unternehmen in jedem Bundesland auf die gleichen Online-Services zurückgreifen. Dabei werden die etablierten OZG-Programm- und Themenfeldstrukturen genutzt und keine neue bürokratische Verteilungsstruktur aufgebaut. Das spart Zeit und reduziert die Kosten.

Inwiefern werden die Kommunen von den Mitteln aus dem Konjunkturpaket profitieren?

Wir wollen Länder und Kommunen durch die zusätzlichen Gelder aus dem Konjunkturpaket bei der OZG-Umsetzung deutlich entlasten. Der Einsatz der Mittel ist dabei direkt an die Digitalisierung von Verwaltungsleistungen nach dem Einer-für-Alle-Modell geknüpft. Die Bundesmittel werden direkt für Digitalisierungsprojekte eingesetzt. Die Länder und ihre Kommunen haben den Vorteil, dass sie die Online-Dienste nicht selbst entwickeln und implementieren müssen.

Auch an der OZG-Umsetzung sind Consultingfirmen beteiligt. Teure Beraterverträge stehen aber immer wieder in der Kritik.

Wir brauchen Beratung in drei Bereichen, da ist sie gerechtfertigt: Dort wo es zeitkritisch ist, wo die Komplexität sehr hoch ist und wo es unvorhergesehene extreme Ressourcenengpässe gibt. Die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes erfüllt alle drei Punkte. Aber auch ich sehe es kritisch, wenn Beratung zum Dauereinsatz wird. Die Linienarbeit der Verwaltung darf nicht durch Beratungsarbeit abgelöst werden. Mir ist es daher wichtig, Kompetenzen verstärkt inhouse aufzubauen, die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes zu befähigen, Dinge selbst zu erledigen.

In welchen Digitalisierungsbereichen ist die öffentliche Verwaltung in Deutschland aus Ihrer Sicht gut aufgestellt?

Wir machen bei der OZG-Umsetzung Fortschritte. Gerade in der Corona-Zeit haben wir gezeigt, wie wir im Digitalisierungsprogramm schnell auf die Krise reagiert haben: So hat zum Beispiel ein Express-Digitalisierungslabor innerhalb von einem Monat Online-Verfahren für die Entschädigung von Verdienstausfällen entwickelt. Damit können Arbeitgeber und Selbstständige nun auf digitalem Wege eine Entschädigung für Verdienstausfälle beantragen, die aufgrund einer behördlich angeordneten Schul- und Kitaschließung oder Quarantäne entstanden sind. Außerdem wurde der Online-Antrag für Arbeitslosengeld II im Eilverfahren fertig gestellt und ist seit Juni verfügbar.

Was erwarten Sie von der Verwaltung der Zukunft?

Ich erwarte, dass ´Verwaltung` für die Bürgerinnen und Bürger sowie für Unternehmen einfach handhabbarer wird. Um Leistungen zu beantragen, müssen keine Papierformulare mehr ausgefüllt werden. Die Daten werden in intuitive Formulare eingegeben, digitale Antragsassistenten bieten Hilfe bei Fragen oder Unklarheiten und prüfen die Eingaben im besten Falle sofort auf Plausibilität. Je nach Art der Leistung sind bestimmte Daten bereits hinterlegt oder werden automatisch übernommen. Die Übermittlung erfolgt ohne Unterschrift mit elektronischer Identifizierung. Auch die Bearbeitung erfolgt teilautomatisch und damit schneller. Selbst im Fall eines Lockdown wie unter Corona können die Mitarbeitenden der Verwaltung Anträge digital entgegennehmen und aus dem Homeoffice bearbeiten. Für diejenigen, die Hilfe benötigen, wird es aber trotzdem einen analogen Ansprechpartner geben, der persönlich weiterhilft. Der Mensch sollte auch in der Verwaltung der Zukunft eine wichtige Rolle spielen.

Interview: Alexandra Braun


Stichwörter: Politik, BMI, Markus Richter, OZG


Weitere Meldungen und Beiträge aus dem Bereich: Politik

Berlin: Eckpunkte für Digitalcheck

[21.11.2024] Die Eckpunkte für die Einführung eines Digitalchecks hat der Berliner Senat beschlossen. Der Geschäftsbereich der Chief Digital Officer soll jetzt ein Konzept inklusive eines vorgeschalteten Pilotvorhabens erarbeiten. mehr...

Diagramm zur OZG-Rahmenarchitektur

IT-Planungsrat: Der OZG-Rahmenarchitektur einen Schritt näher

[20.11.2024] In seiner Herbstsitzung hat der IT-Planungsrat das in einem breit angelegten und von einem Konsultationsprozess begleitete Vorhaben iterativ erarbeitete Zielbild der OZG-Rahmenarchitektur beschlossen. mehr...

Gröere Gruppe von Personen in formaler Kleidung auf einer Treppe, alle blicken Richtung Kamera.

IT-Planungsrat: Erster Teil der föderalen Digitalstrategie beschlossen

[18.11.2024] Der IT-Planungsrat hat auf seiner 45. Sitzung unter Leitung von Bundes-CIO Markus Richter die Dachstrategie der Föderalen Digitalstrategie für die Verwaltung verabschiedet. Zudem wurde ein Vertragsentwurf für das Nationale Once-Only-Technical-System (NOOTS) beschlossen. mehr...

Bitkom: Forderung nach Umsetzung von Digitalprojekten

[15.11.2024] Der Digitalverband Bitkom hat jetzt die Bundesregierung aufgefordert, vor den Neuwahlen im Februar möglichst viele digitalpolitische Projekte abzuschließen. Bisher sind lediglich 32 Prozent der geplanten Vorhaben realisiert. mehr...

Baden-Württemberg: Änderung der Gemeindeordnung verabschiedet

[08.11.2024] Der Landtag von Baden-Württemberg hat jetzt eine Änderung der Gemeindeordnung verabschiedet, die Kommunen in administrativen Abläufen entlasten und die finanzielle Berichterstattung vereinfachen soll. mehr...

Weißes Paragrafenzeichen (dreidimensional) lehnt an einer blau-grauen Wand

Cybersicherheit: Stellungnahmen zum NIS2-Umsetzungsgesetz

[07.11.2024] Der Bundestagsausschuss für Inneres und Heimat hat sich mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Umsetzung der NIS2-Richtlinie befasst. Vielen Experten geht der Entwurf nicht weit genug. mehr...

Mann (Jürgen Barke) in einem sehr förmlichen dunkelblauen Anzug mit blauem Schlips und weißem Einstecktuch steht vor einer hellen Wand.

Saarland: Mehr Input zur Digitalpolitik

[05.11.2024] Das Saarland tritt dem GovTech Campus Deutschland bei, um die Digitalisierung der Verwaltung voranzutreiben. Durch die Mitgliedschaft will das Land von dem Innovationsnetzwerk profitieren und aktiv an Digitalpolitik und gemeinsamen Projekten mitwirken. mehr...

Personengruppe in förmlicher Kleidung steht auf einer Wiese vor einer historischen Sandsteinfassade.

Normenkontrollräte: Ambitioniert zum Bürokratieabbau

[05.11.2024] Im Rahmen eines Treffens in Stuttgart haben Normenkontrollräte und Clearingstellen eine Erklärung verabschiedet, die eine Reduzierung der Bürokratiekosten um 25 Prozent innerhalb von vier Jahren anstrebt. mehr...

Montage: ein aufgeklappter Laptop, er Monitor enthält Karteischubladen, eine davon ist ausgezogen und ragt aus dem Bildschirm heraus.

Databund: Datenschutzrisiken im MDWG

[05.11.2024] Der Databund hat zu zwei Gesetzesentwürfen des Bundes Stellung genommen, welche die kommunale Verwaltung betreffen. Im MDWG-Entwurf sieht er Verbesserungen für die Migrationsverwaltung, mahnt jedoch Datenschutzrisiken an. Beim eIDAS-Gesetz begrüßt der Verband die Stärkung der Bundesnetzagentur. mehr...

Symbolbild: Blauer Hintergrund, davor Binärcode-Zahlenreihen und ein Ring aus gelben Sternen (EU-Flagge)

Niedersachsen: NIS2-Richtlinie umgesetzt

[04.11.2024] Niedersachsen setzt als eines der ersten Bundesländer die NIS2-Richtlinie der EU zur Cybersicherheit in der Verwaltung um. Die neue Verwaltungsvorschrift, die Benennung einer zuständigen Behörde für Cybersicherheit und die Einrichtung eines Notfallteams sollen die IT-Sicherheit in besonders kritischen Bereichen stärken. mehr...

Niedersachsenross (steigendes weißes Pferd) aus sich überlappenden Glasplatten als Wanddekoration im Niedersächsischen Landtag.

Niedersachsen: Beteiligung am ZenDiS

[04.11.2024] Niedersachsen will sich am Zentrum für Digitale Souveränität (ZenDiS) beteiligen, um die Abhängigkeit der Landesverwaltung von marktbestimmenden Softwareherstellern zu reduzieren. Das Land könnte so auch von überregionalen Erfahrungen und Projekten profitieren. Dies steht im Einklang mit der Digitalstrategie des Landes. mehr...

Reduzierte Strichzeichnung mit schwarzen Linien auf weiß, die verschiedene Symbole für Bereiche der Digitalisierung zeigt.

BMDV/BREKO: Digital only braucht Glasfaser

[24.10.2024] Die Bundesregierung berichtet über Fortschritte ihrer Digitalstrategie. Der Glasfaserverband BREKO warnt trotz erreichter Erfolge bei 5G und Glasfaser vor Verzögerungen beim Ausbau. Ohne klare politische Weichenstellungen, insbesondere zur Abschaltung des Kupfernetzes, könnte das Ziel einer flächendeckenden Glasfaserversorgung bis 2030 verfehlt werden. mehr...

Im Vordergrund einige leicht unscharf fotografierte Kongressbesucherinnen, hinter ihnen hängt an einem bodentiefen Fenster ein Flatscreen mit pink-violetten Mustern und dem Wort "Digitalgipfel"

Digital-Gipfel 2024: Fokus auf KI und digitaler Souveränität

[23.10.2024] Im Fokus des Digital-Gipfels der Bundesregierung standen die Stärkung der digitalen Souveränität und der Einsatz von Künstlicher Intelligenz. Die Bundesregierung betonte die Bedeutung einer intensiven Datennutzung und der KI-Förderung, um Deutschland im internationalen Wettbewerb zu stärken. mehr...

Digitalisierung: Dresdner Forderungen 2.0

[22.10.2024] Die Fachgruppe Verwaltungsinformatik der Gesellschaft für Informatik hat 20 Thesen zum digitalen Wandel formuliert. Die Forderungen zielen darauf ab, die Verwaltung effizienter, zukunftssicherer und bürgerfreundlicher zu machen. mehr...

Gruppenfoto der Digitalverantwortlichen der Länder vor einer Projektion mit DMK-Logo.

Digitalministerkonferenz: Erfolgreiches zweites Treffen

[21.10.2024] Die Digitalisierung in Deutschland zügiger vorantreiben und digitale Transformation zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger gestalten: Mit dieser Zielstellung haben sich die Digitalverantwortlichen der Länder zur zweiten Digitalministerkonferenz in Berlin getroffen. Wichtige Themen waren Datenschutz und Datennutzung, die Verwaltungscloud-Strategie und die Nutzung von KI. mehr...